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Full text of "Gedächtnissrede auf Joh. Lucas Schönlein: Gehalten am 23. Januar 1865, dem ersten Jahrestage ..."

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i^ . ^e. ^ 



Gedächtnissrede 



auf 



JOE. LUCAS SCHÖNLEIN 



gehalten 

am 2a Januar 1865, 
dem ersten Jahrestage seines Todes 

in der Aula der Berliner Universität 



TOIl 



RUDOLF VIRCHOW. 



Mit zahlreichen erläuternden Anmerkungen. 



BERLIN, 1865. 

VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD. 

68. Unter deu Linden. 



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53V8 



Hochgeehrte Anwesende ! 



Wir sind hier verdammclt, um die Erinnerung in uns 
zu erneuern an den theuren Maun^ der heute vor einem 
Jahre^ fern von uns, aus dem Leben schied. Wir, die wir 
seinem Körper nicht die letzte Ehre anthun konnten, wir 
wollen heute in feierlichem Gedächtniss seinem Geiste die 
Ehre zollen, deren unser Herz voll ist. Nicht die Ehre, 
auf welche seine hohe Stellung im Staate, auf welche Wür- 
den und Aemtcr einen Anspruch geben, sondern diejenige, 
welche dem Manne als solchem gebührt, diejenige, auf 
welche er durch Arbeit, Leistung und Charakter Anspruch 
erworben hat. 

Ein Jahr ist vergangen seit seinem Tode. Das ruhi- 
gere Urtheil tritt an die Stelle des Schmerzes, und wenn 
auch noch jetzt die Klage nicht verstummt um seineu Ver- 
lust, so tritt doch schon das Bedürfniss an uns heran, in der 
Erscheinungen Flucht, unter den immer neu werdenden Ge- 
staltungen des täglichen Lebens das Bild des Mannes uns 
zu sichern, wie es jetzt dasteht, noch in frischer Erinne- 
rung, und doch geklärt von dem Hauch vorübergehender 
Stimmung. 



9ae3 



Wir haben ihn 19 Jahre unter uns wirken sehen in 
der Zeit seines noch kräftigen Mannesalters. In der lan- 
gen Reihe ruhmvoller Namen, welche die Annalen dieser 
Hochschule während der ersten 50 Jahre ihres Bestehens 
zieren, ist der seinige einer der ruhmvollsten. Aber das 
ist nicht der einzige, nicht der Hauptgrund, weijhalb wir 
ihn betrauern. Denn nicht hier ist der Ort, wo er die 
Zeitgenossen gelehrt hat, bewundernd zu ihm aufzuschauen, 
nicht hier die Stätte, zu welcher die Nachwelt blicken wird, 
wenn sie den Meister in seinem Schaflfen, in seiner eigent- 
lichen Werkstatt sich vergegenwärtigen will. Er ist nicht 
aus der Berliner Schule hervorgegangen und er hat keine 
Berliner Schule zurückgelassen. Wie so viele seiner Amts- 
genossen, welche der Ruf der Staatsregierung aus den ver- 
schiedenen Ländern Deutschlands hier versammelt, ist er 
als ein fertiger Mann zu uns getreten. In den Lorbeer- 
kranz, den er mitgebracht, ist manch' neues Blatt bei uns 
eingefügt worden, aber er gewann es fast mühelos. Die 
Zeit der schwersten Kämpfe lag hinter ihm, und doch war 
sein Herz nicht bei uns, sondern in dem Lande, wo er 
äusserlich in den Kämpfen unterlegen war. 

Der Lorbeer war und blieb für ihn ein äusserliches 
Ding, weil er sich selbst genug war, und wenn es ihn mit 
gerechtem Stolze erfüllen mochte, dass eine Anerkennung 
nach der andern ihm zufiel, so vergass er doch nie- 
mals, dass äussere Ehre kein Maassstab des waliren Ver- 
dienstes, dass es vielmehr das Zeichen eines niedrigen 
oder beschränkten Geistes ist, sich erhaben zu fühlen um 
der Gunst äusserer Erfolge willen. Zu keiner Zeit (es 
sei denn, dass Hochmuth, mit Unwissenheit gepaart, ihm 
entgegentrat) liess er seine CoUegen fühlen, dass das Ge- 
schick ihn über sie erhoben habe; zu keiner Zeit setzte 
er eine künstliche Schranke zwischen sich, den grossen 



Meister, und seine Schüler, die vielleicht erst Anfänger 
waren; niemals verschloss er sich im Stolze des Wissens 
vor der Macht der fortschreitenden Erkenntniss, mochte 
sie auch von noch unbekannten Forschern ausgehen und 
liebgewordenen Ueberzcugungcn widersprechen. Als er 
schon Leibarzt des- Königs von Preussen war, trug er 
kein Bedenken, seinen alten Schüler E i 9^ n m a n n im Kei;ker 
auf der Feste Rosenberg zu besuchen (1845). So blieb 
er geistig jung, als er nicht mehr arbeitsfrisch war; so 
blieb er den CoUcgen ein College, den Freunden ein 
Freund; so wurde er ein Muster wahrer Humanität und 
Liberalität im guten, klassischen Sinne des Wortes. Nichts 
Menschliches ward ihm fremd. 

Darin liegt der nähere Anspruch, den er auf unser 
Herz erworben hat; daraus ist ihm die warme Anerken- 
nung erwachsen, die sich so herzlich zu erkennen gab, als 
er endlich sein lange gehegtes Vorhaben in Ausführung 
brachte und in die geliebte Heimath zurückzog. Und in 
diesem GefühJ, verehrte Anwesende, lassen sie uns jetzt 
sein Gedächtniss begehen, und die einzelnen Thatsachen 
aufsuchen, welche sein Leben zu einem so bedeutungsvollen 
gemacht haben. 

Johann Lucas Schönlein ist am 30. Novbr. 1793 
zu Bamberg geboren ^ Wer, der sie einmal gesehen, ge- 
denkt nicht gern der alten Bischofsstadt am Main mit ihren 
theuren Erinnerungen aus der deutschen Geschichte! Da 
liegt sie, mit dem reichen Schmuck der Thürme, einer über 
dem andern ansteigend, um den reben- und hopfenbedeck- 
ten Bergabhang her. Nach drei Seiten offnen sich die 
fränkischen Thäler, abwärts nach Würzburg, aufwärts nach 
Culmbach, seitwärts nach Erlangen und Nürnberg, im 

eigentlichsten Sinne der Garten Deutschlands. Ein langer 

1* 



Zug blauer Berjrc bildet dcu ßahmeii des schöncu Grc- 
mäldes. Dan ist altes deutsches Culturland, uud darum 
Bischofsland. Mit dem Rcichthum war frühzeitig Bildung 
darin heimisch, und selbst der Katholicismus hatte hier 
nur wenig von dem ultramontanen Character angenommen. 
Er war mit dem Lande verwachsen. Dort in dem alten 
Dom ist der Leichnam Clemens II. l)cigesetzt, den einst 
ein starker deutscher König aus fränkischem Stamm (Hein- 
rich III. 1046) vom Bischof zu Bamberg zum Papst von 
Rom ernannt und eingesetzt liatto; sein todter Leib liegt 
wieder in der Heimath, zum Zeichen, dass er mehr Mensch, 
als Priester war. 

Auch Schön lein ward von katholischen Eltern*'* ge- 
boren und er bliel) bei ihrer Confossion bis zu seinem 
Tode ^. Aber der Ultramontanismus, der überall heimatk- 
los ist, gewann an ihm früh einen bittern Feind; er hasste 
ihn instinktiv, ich möclite sagen, hereditär. Sein jugendliches 
Herz war ganz anderen Einflüssen zugänglich. Da lag 
der fränkische Garten vor ihm ausgebreitet, mit allen 
Schätzen der Natur; da gal) es Berge mit wunderbaren 
Versteinerungen, Wiesen und Tliäler mit den seltensten 
Pflanzen; der Sinn des Knaben ward früh aufgeschlossen 
für ihr Verstän(hiiss *. Aber da waren auch die tausend- 
jährigen Zeugen menschlicher Thätigkeit. Handel, Kunst, 
Wissenschaft, Religion hatten mit einander gearbeitet, um 
die Metropole des Ilcjchstifts zu einer so ansehnlichen 
Stadt emporznbringen. Das schärftr nicht blos (his Nach- 
denken über des Menschen Sein un<l Wirken; das erfüllte 
nicht bloss den Verstand, sondern auch das Herz, und wie 
es früh die Neigung zu Gescliichte und Naturkunde er- 
weckte, so legte es zugleich in die junge Brust jenen un- 
vertilgbaren Keim der Heimathsliel)e , die ihn endlich 
zurückleitete zu dem Orte, wo seine Wiege gestanden 



5 



hatte, wie sie dereinst den Bamberger Papst zurückgeführt 
hatte. 

S eh ö n 1 c i n ' 8 Vater ^ , ein wohlhabender Seilermeister, 
folgte dem Zuge der Zeit und wahrscheinlicli dem Antriebe 
seiner Frau, indem er seinen einzigen Sohn zum Studiren 
bestimmte. Es war ja damals die Zeit der sogenannten 
Aufklärung. Noch nicht hatten die Schrecken der Revo- 
lutionen den Gedanken gereift, den erst die neueste Zeit 
auszubeuten versucht hat, dass zu viel Bildung dem Men- 
schen schade und die Wissenschaft umkehren müsse. Im 
Gegentheil,seit Kant hatten philosophische Ideen alle Kreise 
des Volkes bis zu den Fürsten hinauf durchdrungen, und 
selbst geistliche Herrscher nahmen keinen Anstand, der 
Freiheit des Gedankens oflfene Bahn zu schaflfen. Vor allen 
hatte der damalige Fürstbischof von Würzburg und Bam- 
berg, Franz Ludwig von Erthal (1779— 95), einer der 
edelsten und freisinnigsten Regenten seiner Zeit*^, dem 
Unterricht seine ganz besondere Aufmerksamkeit und Theil- 
nahme zugewendet. Diu Thatsache, dass ein Priester an 
der Würzburger Universität Kantische Philosophie vor- 
tragen durfte, wirft gewiss ein helles Licht auf den Zustand 
der Geister in seinem Lande. Dem Fürsten zur Seite 
stand Carl Friedrich von Dalberg, der nachmalige 
Fürstprimas von Deutschland, damals Dompräbendar zu 
Würzburg, und wie sein Souverain, ein eifriger Bewunderer 
der Philosophie. Aus jener Zeit stammen die denkwür- 
digen Edicte, welche ein einjähriges Studium der Phi- 
losophie zur Pflicht machten ajlen studirenden Landeskin- 
dern , mit Ausnahme derjenigen Juristen , welche die juri- 
dischen Collegien nur deshalb besuchten, „um dereinst 
als Kanzelist oder sonst als ein Schreiber leichter unter- 
zukommen," — Edicte, welche sogar von den Theologen 
verlangten, dass sie vor Beginn des Fachstudiums Mathe- 



matik und praktische Philosophie ein Jahr lang getrieben 
hätten. Wie streng der umsichtige Fürst über die Aus- 
fährung dieser Verordnungen wachte, das ersehen wir am 
besten aus der herben Abfertigung, welche er dem berühmten 
Würzburger Chirurgen Caspar von Siebold ertheilte, 
als derselbe seinen Sohn Elias, den nachmaligen ersten 
Professor der Geburtshülfe an unserer Hochschule, ohne 
den Nachweis der absolvirten Philosophie und Physik in 
das medicinische Studium einführen wollte. „Eine gründ- 
liche Philosophie", heisst es in dejn fürstlichen Rescripte, 
„ist die Wegweiserin zu allen anderen Wissenschaften. Wer 
ohne sie zu frühzeitig sich in das Gebiete anderer Wissen- 
schaften wagt, wird höchstens ein oberflächlicher Vielwisser, 
oder gewiss nur ein Gelehrter ohne vollkommene Aus- 
bildung." 

Aber der einsichtsvolle Fürst begi'iflf, dass ein Studium, 
wie er es verlangte, auch grosse Hülfsmittel erfordere. 
Nicht zufrieden mit der Verbesserung der Universitäten, 
mit der Einrichtung der Schulen, mit der Ausstattung der 
noch jetzt berühmten Bibliothek '^ zu Bamberg, dachte er 
auch an die medicinischen Anstalten. Bamberg besass 
schon seit alten Zeiten, soweit wir urkundlich wissen, min- 
destens seit dem Anfange des 13. Jahrhunderts^, mancher- 
lei kleinere Spitäler. Nunmehr aber wurde das grosse 
allgemeine Krankenhaus erbaut und unter der Leitung des 
fiii'stbischöflichen Leibarztes, des altern Marcus, zu einer 
der vorzügliclistcn Kranken- und Lcluaustalten der dama- 
ligen Zeit entwickelt ^ Die medicinische Facultät blühte; 
neben Marcus, Dorn, den beiden Gotthard's und 
Sippel wirkte bald eine der einflussreichsten Celebri täten, 
der begabte Rösch lau b. 

Freilich drohte der Krieg mit seinen weithin zerstö- 
renden Folgen alle diese wohldurchdachten Einrichtungen 



zu zerstören. Schon wälzte sich die französische Invasion 
über das Land; kaum ein Jahr, nachdem der edle Franz 
Ludwig die Augen geschlossen, im Jahr 1796, stiessen die 
französischen und östeiTcichischen Heere am Main auf ein- 
ander und die blutige Schlacht von Würzburg wurde ge- 
schlagen. Bald folgte die Säcularisation und die Ueber- 
gabe des Landes an Bayern (1802). Aber die Keime der 
Entwickelung, die einmal gelegt waren, erwiesen sich mäch- 
tig genüge um den Sturm zu überdauern, und die bayrische 
Regierung trat die Erbschaft, wenigstens zunächst, in frei- 
sinniger Weise an*". 

Unter diesen Verhältnissen war es, dass der junge 
Schönlein seine Gymnasialbildung (1804 — 11) vollendete 
und im Herbst des Jahres 1811 die Universität Landshut 
bezog, welche wenige Jahre zuvor sein späterer nächster 
College Textor*' verlassen hatte. Landshut war da- 
mals** eine der frischesten Universitäten Deutschlands; 
in allen Facultäten lehrten berühmte Männer; die medici- 
nische namentlich stand mitten in der Bewegung. Man 
kämpfte um die Grundlagen der Wissenschaft, nicht bloss 
um die Principien der Doctrin von Leben und Krankheit, 
sondern sogar um die Methode. Es war der Wendepunkt 
zwischen alter und neuer Medicin in Deutschland gekom- 
men; es sollte sich entscheiden, ob die Medicin durch die 
Beobachtung oder durch die Speculation, ob sie naturwissen- 
schaftlich oder philosophisch aufzubauen sei. Lassen Sie 
uns bei diesen für alle Zeit Epoche machenden Vorgängen 
einen Augenblick verweilen. 

Schon im Anfange des 18. Jahrhunderts war der Kampf 
eingeleitet worden in den Streitigkeiten zwischen den bei- 
den Hallenser Professoren Georg Ernst Stahl und 
Friedrich Hoffmann, freilich nicht in seiner ganzen 
principiellen Schärfe, aber doch in gleicher Richtung, wie 



8 

er später aufgenommen wurde. Der Animismus StahTsy 
der die Seele als das leitende Prineip auch der körper- 
lichen Vorgänge hinstellte und demnach alle Ereignisse der 
Krankheit und der Heilung auf besondere Impulse der 
Seele zurückführte, hatte den Weg der Speculation neu 
eröffnet. Aber diese Schule gewann wenig Boden. Die 
ruhige, klinische Beobachtung Fr. Hoff mann *s fand die 
mächtige Unterstützung des grossen Leydener Melster's 
Boerhaave, der durch alle Gebiete der Mcdicin und der 
Naturwissenschaft mit eiserner Folgerichtigkeit dieselbe Me- 
thode, die der Analysis, handhabte und sich in der Synthesis 
nirgend über das^ wirklich Beobachtete hinwegsetzte. 

Den unruhigen Köpfen kam dieser Weg zu lang, den 
bequemen zu unbequem vor; eine gewisse Unbehaglichkeit 
über die Lückenhaftigkeit des Wissens und über die un- 
endliche Mannichfaltigkeit des Erfahrcns breitete sich über 
die Gemüther. Da erschienen, um das Jahr 1780, die Ele- 
menta medicinae eines schottischen Arztes, John Brown. 
Er fährte alle Vorgänge des Lebens auf die Erregbarkeit 
zurück, ja das Leben selbst wai* för ihn nur eine Folge 
der Erregbarkeit des Organismus. Gewisse Beize setzen 
die erregbaren Theile in Bewegung, und ihre Erregung 
äussert sich in zwei Grundformen, in der der Ki*aft (Sthenie) 
oder in der der Schwäche (Asthenie). Auch die krankhafte 
Erregung hatte nach ihm keine anderen Formen, und das 
Handeln des praktischen Arztes ergab sich demnach sehr 
einfach, indem es auch nur in den zwei Hauptrichtungen 
wirksam sein konnte, die zu grosse Kraft zu massigen oder 
die Schwäche zu heben. 

Diese so überaus einfache und bequem formulirto 
Lehre, welcher überdiess eine gewisse Wahrheit nicht ab- 
zustreiten war, erhob sich wie ein Meteor. Der Brownianis- 
mus ward alsbald die herrschende Schule in Deutschland 



und Italien. Niemals vorher hat eine medicinische Schule 
so schnell sich ausgebreitet. Ihr Hauptvertretcr in Deutsch- 
land war Joh. Andreas Rösch laub", der Landsmann 
Schönlcin's. Gleich seinem SpccialcoUegen, A d a Ib. F r. 
Marcus nahm er den Brownianismus auf das Wärmste 
an, aber bald gaben sie ihm eine neue Richtung, die philo- 
sophische oder genauer gesagt, die speculative. Kant 
hatte die Geister vorbereitet; seine Erfolge glaubte jeder 
erreichen zu können, wenn er iiur die kritische Methode 
anwendete. Schelling hatte die Verwirrung vollendet, 
indem er die Natur aus der Idee des Absoluten construirte. 
Die Naturphilosophie war Manie geworden. Marcus selbst 
gab mit Schelling 1806— 1 808 „Jahrbücher der Medicin als 
Wissenschaft" heraus, aber seine Stellung an dem grossen 
Krankenhause, welches während der schweren Kriegsjahre 
mit Kranken überfüllt war, zwang ihn wenigstens, immer 
wieder auf die Beobachtung zurückzukommen. 

Anders mit Röschlaub, der inzwischen Professor in 
Laudsimt geworden war. In seinem Kopfe gestaltete sich 
aus dem Gonnubium des Brownianismus mit der speculati- 
ven Philosophie die sogenannte Erregungstheorie. Er trug 
kein Bedenken, „die metaphysischen Anfangsgründe der 
Medicin a priori festzustellen", und sie in 30 Gesetzen zu 
formuliren, die sieh wesentlich um das Verhältniss der 
Reize zu der Erregbarkeit drehten. Mit diesen Gesetzen 
vertraut, sollte der Arzt alle Hülfswissenschaften ent- 
behren und die Medicin in kurzer Zeit mit Be(|uemlichkeit 
erlernen köimen. Selbst die Autorität von Hufeland sank 
für eine kurze Zeit vor diesen Verheissungen. 

Aber in Landshut fand Röschlaub seine Meister. 
Da war Tiedemann", der grosse vergleichende Ana- 
tom, nachmals so berühmt als experimentirender Physio- 
log; da war vor Allen Philipp von Walther *^, damals 



10 

ein ganz junger Mann und keinesweges frei von natur- 
philosophischen Vorui-theilen , aber ausgerüstet mit allem 
positiven Wissen, welches ein sorgföltiges Studium der 
Anatomie und Physiologie, welches eine in der besten 
analytischen Methode durchgeführte Beobachtung und Praxis 
in der Chirurgie darbieten konnten. Sein Einfluss auf die 
kommende Generation und damit auf die Gestaltung der 
Medicin in Deutschland ward entscheidend; durch seine 
beiden berühmteren Schüler, in Landshut Schönlein und 
ein Decennium später in Bonn Johannes Müller*®, ist 
er der Urheber der Regeneration unserer Wissenschaft 
geworden. Er ist es, der von der Medicin verlangte, dass 
sie Naturwissenschaft werde; er hat die Forderung auf- 
gestellt, dass sie alleHülfsmittel der objectivcn Beobachtung 
heranziehe. ^Die Medicin kann," sagte er, „wahre Fort- 
schritte nur dadurch machen , dass die ganze Physik, 
Chemie und alle Naturwissenschaften auf sie angewendet, 
und dass sie auf die gegenwärtig erstiegene Höhe der- 
selben gestellt und mit ihren glänzenden Portschritten in 
Uebereinstimmung gebracht werde." 

Schönlein beginflf dies vollständig. Als Candidat der 
Philosophie inscribirt, hörte er die Naturwissenschaften; 
insbesondere bei B er tele" Mineralogie, Botanik und 
Zoologie, Physik und Chemie auf das Eifrigste. Sodann 
zur Medicin übergetreten, wendete er sich unter Tiede- 
mann's Leitung mit Vorliebe der vergleichenden Anatomie 
zu, ohne die eigentlich medicinisclien Disciplinen zu vernach- 
lässigen. Er blieb nui^ U Jahre in Landshut. Zwischen die 
streitenden Ansichten seiner Lelirer gestellt, von beiden 
Seiten her beeinflusst, entschied er sich mit seiner üeber- 
zeugung für die positive Richtung, für den Weg der Be- 
obachtung*®. Aber auch die speculative Richtung, der Weg der 
Construction blieb ihm nicht fremd; ja man dürfte nicht 



11 

fehl gehen, wenn man sagt, dass das goldene Kalb der 
Naturphilosophie sehr lange Zeit seinem Herzen wohl ge- 
fiel und dass es ihm yielleicht nie gelungen ist, die von 
früher Jugend her aufgenommene Neigung zur Speeulation 
mit allen ihren Wurzeln aus seinem Wesen herauszureissen. 
In der Blüthezeit seiner Lehrthätigkeit gewann die äussere 
Form seiner Darstellung, der Bau seines Systems durch 
die speculative Hülle eine Schönheit, welche bezaubernd 
auf alle Hörer wirkte, und wir können leider nicht in Ab- 
rede stellen, dass Mancher über dieser Hülle vergass, was 
darunter steckte, den ganzen reichen Inhalt an positivem 
Wissen und die mühevolle Sammlung zahlloser Einael- 
beobachtungen. In der allgemeinen Pathologie blieben die 
Einwirkungen Röschlaub's, wie namentlich die Lehre 
von den Reactionen zeigt, dauernd von Einfluss; in der 
speciellen Pathologie erhielt sich das Vorbild Walther' s 
und entwickelte sich zu vollendeterer Gestalt. Denn was 
Walt her eben nui* wollte, die volle Hereinnahme der 
Naturwissenschaften in die Medicin, das hat Schönlein 
für seine Zeit wii-klich geleistet. 

Ich habe länger bei dieser Schilderung verweilt, als 
man zu thun pflegt, wenn man die Thaten eines Mannes 
schildern soll. Ich habe es gethan, weil für die Kenntniss 
sowohl der einzelnen Menschen, als ganzer Geschlechter 
nichts von höherer Bedeutung ist, als dass man die Be- 
dingungen ihrer Entwicklung und die Grundrichtung ihres 
Denkens klar übersehe. Diese aber waren im Grossen 
festgestellt, als Schönlein zu Ostern 1813 Landshut ver- 
liess und sich nach Wüi'zburg begab '^ 

Die Würzburger Hochschule genoss schon seit ihrer 
Wiederherstellung durch Bischof Julius (1582) den ganz 
besondereQ Vorzug unter den deutschen Universitäten, 



12 

dass ein grosses und mit fnrstlicher Munifieenz ausgestat- 
tetes Krankenhaus ) das in der Oeschichte der deutschen 
Medicin so berühmt gewordene Juliusspitali ihr zur Ver- 
fiigung stand, und dass schon früh alle mcdicinischen An- 
stalten, einschliesslich des anatomischen Theaters, mit dem 
Krankenhause in eine nähere Verbindung gebracht wurden. 
So war hier eine Concentration der Studien gewonnen, 
wie sie an keinem anderen Orte bestand, und zugleich ein 
so reiches Beobachtungsmaterial dargeboten, wie es mit 
Ausnahme von Wien und Prag nirgends auf deutschem 
Boden ein Universitätslelirer zu seiner Vei'fägung hatte. 
Die Berliner Charite diente damals ja nur für den Unter- 
richt der Militär -Akademie. 

Die wissenschaftliche Benutzung des grossen Materials 
begann jedoch auch in Würzburg ziemlich spät, weil die 
Männer fehlten, die es zu benutzen verstanden**. Erst 
von der Anstellung Caspar von Siebold's 1767, der 
zugleich die Anatomie, die Chirurgie und die Geburtshülfe 
vertrat, datirt die Blüthe dieser Schule, die seitdem immer 
nur auf kürzere Zeiträume unterbrochen worden ist. Nicht 
bloss die Chirurgie, die in Siebold einen ihrer vorzüg- 
lichsten Vertreter verehrt, sondern auch die anderen Zweige 
der praktischen Medicin entwickelten sich hier in ordnungs- 
mässiger Weise auf dem Boden nüchterner Erfahrung. 

Etwas anders stand es mit der theoretischen Medicin. 
Sie hatte sich den Einflüssen der Erregungstheorie und 
namentlich der Naturphilosophie nicht zu entziehen ge- 
wusst; der Voltaismus und der Mesmerismus waren hin- 
zugekommen, und namentlich in der Physiologie und all- 
gemeinen Pathologie ist eine gewisse Neigung zu specula- 
tiver oder mystischer Transscendenz bis in die neue Zeit 
hinein nirgend so auffallend hervorgetreten *'. Indess 
hatte gerade die naturphilosophische Betrachtung, indem 



14 

Grundlagen gewannen. Tiedemann war ihm gefolgt. 
So kam in die Naturwissenschaft an die Stelle der für die 
damalige Zeit ganz unzugänglichen Frage nach dem pri- 
mum movens vielmehr die Frage nach dem primum motum ; 
man gewöhnte sich, erst die Erscheinung und darnach den 
Grund der Erscheinung zu .erforschen, die Analogie nicht 
als Motiv der Antwort, sondern als Motiv der Fragestel- 
lung zu verwerthen. Indem man den Anfang der Ge- 
schichte des menschlichen Lebens, wie des thicrischen, 
an die Entwickelung des Eies anknüpfte, und in dem Ei 
die lange Reihe der Vorgänge von der Befruchtung bis 
zur Ausbildung der einzelnen Organe durch unmittelbare 
Untersuchung kennen zu lernen suchte, gewann man nicht 
bloss eine deutliche Vorstellung von Entwickelungsvor- 
gängen, sondern auch den Sinn für die Autopsie, das 
Verständniss der naturwissenschaftlichen Methode. 

Es war vielleicht ein besonderer Zufall, dass der 
Mann, unter dessen Leitung diese Neuerung eine feste 
Gestalt gewann und die Embryologie zu einer Wissenschaft 
wurde, wiederum ein Landsmann Schönlein's war. Ignaz 
Döllinger'^^ war Professor der Anatomie und Physiologie 
in Würzburg, als der junge Student die Alma Julia bezog. 
Wie dieser selbst berichtet, war er „so glücklich, den ge- 
netischen Gehimdemonstrationen Döllingcr's beizuwoh- 
nen", und unter dessen Augen eine nicht unbeträchtliche 
Zahl von Menschen- und Tliier- Gehirnen, sowohl von Er- 
wachsenen, als Embryonen zu zerlegen. So entstand seine 
Inauguralabhandlung „von der Hirnraetamorphose", ein in 
deutscher Sprache geschriebenes Werk, das einzige zu- 
gleich, welches jemals von ihm selbst veröffentlicht wor- 
den ist. 

Auf Grund dieser Abhandlung wurde er am 24. Fe- 
bruar 1816 zum Doctor promovirt. Durch die ganze, für 



r. 



16 

deutschen UnivcrsitUten von der Pike an zu dienen, und 
um zu zeigen, dass es ihm Ernst mit dem Satze war, 
dass nur die Anschauung Wahrheit und Oülti^eit besitze, 
so wählte er zu seinen Vorlesungen diejenige Didciplio, 
welche in dem ganzen Gebiet der im engeren Sinne Medi- 
cin genannten Disciplincn am meisten auf die Anschaanng 
gebaut ist, die pathologische Anatomie. Er begann, wie 
Laennec, Dupuytren und John Huntcr begonnen 
liatten. Die pathologische Anatomie wai'd der 6i*und sei- 
ner Diagnostik und diese wieder der Grund seines Ruhmes. 
Denn bis zum Schlüsse seiner Lehrthätigkeit hörte er nicht 
auf, die pathologische Anatomie als die Quelle immer 
neuer Erfahrung anzuerkennen und zu suchen. Mit den 
Fortschritten der pathologischen Anatomie wuchs die 
Schärfe seiner Diagnosen; jede neue Thatsachc desLeichen- 
tischcs wui'de fiir ihn eine neue Waffe der klinischen Erkenni- 
niss. Tnig er doch kein Bedenken, in den Prolegomeäa'^ 
zu seiner speciellcu Pathologie und Therapie offen zu er- 
klären, dass jede Krankheit eine örtliche, wenn auch nicht 
an ein einziges (Jrgan gebundene sei. Und auf den Ein- 
wand, dass man noch nicht für alle Krankheiten materielle 
Veränderungen nachweisen könne, antwortete er: „Das sei 
ein oberflächlicher Einwand bei einer Wissenschaft, die 
nur nach Deccnnien zähle. Habe doch die physiologische 
Anatomie Jalirtausende gebraucht und sei noch lange nicht 
zu Ende. Ein Narr könne mehr fragen, als tausend Kluge 
beantworten/' Freilich gestand er zu, dass die Therapie 
von diesem Wissen nicht immer unmittelbaren Nutzen 
liabe, aber er meinte: „Das W^isson der Krankheit müsse 
dem Handeln stets vorangehen. Unsere Generation möge 
erst das Material für das Wissen sammeln; eine spätere 
werde es schon benutzen. Wo man nicht gesäet habe, da 
könne man auch nicht erndten.'' 



17 

So sprach der gereifte Lehrer im Mai 1841 nach mehr 
als zwanzigjähriger klinischer Thätigkeit. Denn der Privat- 
docent von 1817 wurde bald zum Kliniker umgewandelt. 
Der damalige Vorstand der medicinischen Klinik im Julius- 
spitale, Nicolaus Priedreich, ein allverehrter und ge- • 
priesener Arzt, erkrankte schwer an den Augen, und 
Schönlein, am 29. April 1819 provisorisch mit der Lei- 
tung der Klinik betraut, wurde schon 1820, nachdem er 
einen Ruf an die Frei burger Universität abgelehnt hatte, 
zum Extraordinarius und am 15. Januar 1824 zum Ordi- 
narius der speciellen Pathologie und Therapie und zum 
Vorstand der Klinik ernannt. Die Pacultät, obwohl sie 
ihn nicht vorgeschlagen, hatte sich über die Wahl nicht 
zu beklagen. Er war stets ein Mann von wahrhaft colle- 
gialischer Gesinnung, und sein Verhältniss sowohl zur Fa- 
cultät überhaupt, als namentlich zu seinem Specialcollegen 
am Juliusspital, zu Textor, der schon 1816 zum Pro- 
fessor der Chirurgie ernannt war, gestaltete sich auf das 
allergünstigste. 

Der Strom der Studirenden lenkte sich von jener Zeit 
an in immer steigender Breite nach Würzburg. Erwägt 
man, dass gleizeitig d'Outrepont die Geburtshülfe, Döl- 
linger und nach seinem Abgange Heusinger Anatomie 
und Physiologie vertraten, so wird es begreiflich, welcher 
Eifer sich der Jugend bemächtigen musste in dem Zu- 
sammeilwirken so vieler, theils selbst noch jugendlicher, 
mindestens aber ganz arbeitsfrischer Lehrer. Um einen 
solchen Stamm von Lehrern sammelte sich ein gleicher 
Stamm von Schülern, die nicht blos lernen, sondern selbst 
arbeiten wollten '^ Es war eine Gährung in den Ge- 
müthern, wie sie noch nie vorher an einem Orte in Deutsch- 
land bestanden hatte, vergleichbar derjenigen, welche einst 
durch Boerhaave in Leyden angeregt worden war. An 



19 

grössere Verdienst zusprechen, als ein frischer Ausdruck 
der Begeisterung zu gelten, welche den Schülerkreis durch- 
drang. Mancher dieser Schüler ist nun auch schon lange 
dahingeschieden; mancher schon vor dem Meister, der sie 
als ein selbst noch so junger Mann auf die Bahn der Ehren 
gestellt hatte. Aber kaum einer ist ihm untreu geworden 
und hat den Meister verleugnet. 

Schönlein selbst nannte seine Schule mit einem, wie 
es scheint von Stark entlehnten Worte die naturhisto- 
rischc, und unter diesem Namen wird sie im Buche unse- 
rer Geschichte verzeichnet stehen. Sie trägt, wie ihre 
Vorgängerin, die naturphilosophische, ihren Namen von 
ihrer Methode. „Wir gehen zurück," sagte Schönlein, 
„auf jene Basen, jene Säulen, von denen die Medicin aus- 
gegangen ist. Sich stützen auf die Naturbücher, ist unsere 
Absicht, — eine naturhistorische Richtung. Die Natur- 
wissenschaften sollen uns Führer sein und zeigen, wie man 
beobachten müsse, um daraus Erfahrungen zu bilden und 
diese wieder zur That ausbilden zu können. Also vor 
Allem die Methode." 

Keiner seiner zatlreichen Gegner hat Schönlein das 
Verdienst bestritten, dass er zuerst die Methode der deut- 
schen Klinik festgestellt habe^. Er ist es gewesen, der 
das reiche Material eines grossen Krankenhauses den Stu- 
direnden so zugänglich machte, dass jeder Einzelne durch 
eigene Beobachtung den Verlauf der Krankheiten verfolgen, 
jeder wirkliche Erfahrungen sammeln konnte. Für ihn war 
die Klinik nicht blos eine Art der Vorlesung^ mit Demon- 
stration verbunden, sondern praktische Leitung des ange- 
henden Arztes. Was Krukenberg fast gleichzeitig für 
die Poliklinik leistete, das that Schönlein fär die Hospi- 
talklinik. Beide erwählten sich das mühsamere, aber zu- 
gleich auch mehr lohnende Werk der klinischen Erzie- 

2* 



20 

hung der Einzelnen, und darum blieb ihr Werk in 
diesen Einzelnen auch bestehen. Der Einzelne sah den 
Kranken nicht blos einmal, sondern täglich, regelmässig; 
er beobachtete den Gang der Krankheit bis zur Heilung 
oder bis zum Tode, und im letzteren Falle ward der Leh- 
rer nicht müde, aus dem Leichenbefunde in sorgsamem 
epikritischen Rückblick Recht und Unrecht in Diagnose, 
Prognose und Therapie zu scheiden. 

Noch mehr aber glänzte die neue Klinik durch die 
Art der Untersuchung. Hatte Schönlein selbst schon 
als Student die theoretische Forderung kennen gelernt, 
Physik und Chemie in die Medicin hineinzunehmen, so 
führte er es nun auch praktisch aus. Seine Klinik war 
die erste in Deutschland, welche die sogenannten physi- 
kalischen Hülfsmittel, insbesondere die Perkussion und 
Auskultation in regelmässigen Gebrauch zog. Während 
man anderswo Herz- und Lungenkrankheiten noch nach 
dem Pulse und allerlei „rationellen" Symptomen beurtheilte, 
stellte er nach dem grossen Muster Laennec's den Zu- 
stand der inneren Organe selbst fest. Er nahm das Mi- 
kroskop- und das chemische Reagens zur Hand, um die 
verschiedenen AbsonderungsstoflFe , das Blut, den kranken 
Theil selbst zu untersuchen. Er verfolgte die atmosphä- 
rischen Zustände, um ihren Einfluss auf die Geschichte der 
Krankheiten festzustellen, und selbst die Electricität spielte 
lange Zeit eine grosse Rolle in seiner Nosologie. 

Während er mit grösstem EJifer die casuistische 
Beobachtungi fortführte, versäumte er das Studium der 
Krankheit im Grossen nicht. Von jeher hat er beträcht- 
liche Summen für seine Bibliothek verwendet, nicht, um 
die Bücher zu besitzen, sondern nur um sie zu lesen. Er 
kannte seine Vorgänger vortrefflich; Autenrieth, Reil, 
Peter Frank waren oft in seinem Munde und er wusste 



i 
I 



21 

stets etwas Neues und Löbliches von ihnen zu berichten. 
Aber, wie er zu sagen pflegte, die Reihe der symbolischen 
Bücher war für ihn nicht mit Peter Frank abgeschlossen; 
jede neue Erscheinung der Literatur fesselte seine Auf- 
merksamkeit und fand ihre Würdigung. Am meisten in- 
teressirte er sich für Geschichte und Verbreitung der 
Krankheiten, weil er aus ihrer Kenntniss neue Gesichtspunkte 
des ürtheils für den einzelnen Fall ableiten konnte. Seine 
epidemiologischen Kenntnisse fanden vielleicht nicht ihres 
Gleichen; Geschichte und Geographie der Krankheiten 
wusste er seinen Schülern so nahe zu bringen, dass nicht 
wenige von ihnen sie zum Gegenstande besonderer Studien 
gemacht haben. Und bei alle dem fand er Müsse, seine 
naturwissenschaftlichen Sammlungen ^ fortzuführen und 
sich von den wichtigsten ^Erscheinungen in den verwand- 
ten Gebieten in laufender Kenntniss zu erhalten. 

Das Ergebniss dieser combinirten Arbeiten war eine 
ungleich tiefere Einsicht in die Gesetzmässigkeit des Krank- 
heitsverlaufes , als es die frühere, im Grossen humoralpa- 
thologische Medicin geahnt hatte. Seit Hippocrates war 
das ärztliche Urtheil hauptsächlich auf zwei Dinge gelenkt 
gewesen, auf die Symptome und auf die Krisen. Schön- 
lein vernachlässigte weder die einen, noch die anderen; 
im Gegentheil, selten hat wohl ein Kliniker mehr Eifer 
auf ihre Erforschung verwendet. Aber die Symptome, die 
Zeichen verwandelten sich bei ihm allmählich in Phänomene, 
in Erscheinungen, die seine Aufmerksamkeit auch fesselten, 
wo sie scheinbar für den praktischen Zweck unerheblich, 
wo sie aber für die wissenschaftliche Erkenntniss unentbehr- 
lich waren. Aus der Aneinanden*eihung der Erscheinungen, 
welche nicht blos zeitlich auf einander folgten, sondern 
auch ui'Sächlich aus einander hervorgingen, ergab sich 
schliesslich die Kenntniss #von dem Krankheitsprocess. 



22 

Dies erscheint heut zu Tage so natürlich und selbst- 
verständlich; wie die Circulation des Blutes. Aber es hat 
doch einmal entdeckt, für den menschlichen Geist gewonnen 
werden müssen. Wir sprechen jetzt von Processen ohne 
allen weiteren Zusatz, als wäre dieses Wort ursprünglich 
für die Medicin gemacht worden. Aber kein Schriftsteller 
des Alterthums kannte es in diesem Sinne, keine der le- 
benden romanischen Sprachen ist noch in diesem Augen- 
blick im Stande, es ohne Zusatz, ohne Interpretation anzu- 
wenden. Es ist eine rein deutsche Erfindung^*; es ist 
zugleich die Signatur der Schönlein'schen Lehre. 

So entstand und wuchs unter seiner Leitung die na- 
turhistorische Schule. Es war keine Schule im engeren 
Sinne des Wortes; sie hatte nichts eigentlich Dogmatisches. 
Es war nur eine methodologische Schule'^. Den Geg- 
nern passte das schlecht; sie wollten greifbare Lehrsätze, 
die sie zerfetzen, ein bestimmtes System, das sie vernich- 
ten könnten. In der That hat Schönlein Systeme ge- 
macht und Lehrsätze aufgestellt, aber er selbst kam nie 
zu einem solchen Abschluss, wie er ihn wünschte und wie 
andere ihn bei ihm voraussetzten. Das System, das er 
wollte, sollte ein natürliches sein, wie die Botanik und 
Zoologie sie bekommen hatten, aber es kam nie zum 
Stehen; jedes Jahr brachte neue Wechsel. Denn er selbst 
beobachtete immerfort, und er konnte sich nicht zu einer 
Veröffentlichung entschlicssen , bevor die Beobachtungen 
Stetigkeit erlangt hätten. So kam es, dass einzelne seiner 
Zuhörer seine Vorlesungen, theils im Ganzen^**, theils in 
Stücken drucken Hessen und zum Thcil in der ungenauesten 
Weise zur Veröffentlichung brachten. Er Hess es mit 
Widerstreben geschehen , ohne dadurch seinerseits zur 
Veröffentlichung sich drängen zu lassen. Nichts hatte mehr 
Aufsehen erregt, als seine Familie Typhus. Auch wurde 



23 

sie in einem Separatabdrucke von einem seiner Zuhörer 
veröffentlicht^. Aber er fuhr fort zu beobachten. „Ich 
bin gegenwärtig," schreibt er aus Züi'ich im Jahre 1835, 
„mit Untersuchungen üb^r den Abdominaltyphus besonders 
beschäftigt, da eine kleine Epidemie dieser Krankheit 
gerade dazu reichliche Gelegenheit darbietet. Es hat 
sich manches Neue gefunden, wodurch meine früheren 
Ansichten sowohl über die Pathogenie, als die Therapie 
dieser Krankheit nicht unwesentliche Modificationen erlei- 
den werden." So blieb er Schüler der Natur gegenüber, 
stets bereit, der neuen Erfahrung eine alte üeberzeugung 
zu opfern. Woher sollte da das Dogma kommen? 

Nur eine Anschauung ist in seinem Systeme unver* 
rückt stehen geblieben. Das ist die Grundeintheilung aller 
Krankheiten in drei grössere Gruppen nach den drei organi- 
schen Grundgeweben. Als solche betrachtete er den 
Thierstoff (Zoogen), das Blut (Gefäss) und das Mark (Nerv), 
und darnach bildete er die Gruppen der Morphen, der 
Haematosen und der Neurosen. Wenn diese Eintheilung, 
und zwar nicht ohne Grund, angegriffen ist, so muss doch 
der vorurtheilsfreic Kritiker anerkennen, dass sie nur falsch 
ist, indem sie auf die zusammengesetzten Krankheiten der 
speciellen Pathologie angewendet wurde, dass sie aber im 
Wesentlichen richtig ist, sobald man sie auf die elementaren 
Processe der allgemeinen Pathologie beschränkt. Hier 
entsprechen die Giuppen der wohl begründeten Abtheilung in 
formative, nutritive und functionelle Störungen '^ 

Möge man nie vergessen, dass Schönlein selbst dem 
System nie einen anderen Werth beigelegt hat, als den, 
verwandte Processe einander zu nähern und der wissen- 
schaftlichen üebersiclit Anhaltspunkte zu gewähren. Für 
uns ist sein Verdienst grösser in Beziehung auf das, was 
er aus dem System hinausgebracht hat, als auf das, was 



24 

er darin belassen hat. Hinausgebracht aber hat er far 
alle Zeit die Fieber, die noch bei Peter Frank und Reil 
eine so grosse Gruppe darstellen, und die er als blosse 
Reactionsvorgänge des Körpers im Sinne Röschlaub' s, 
aber nicht mehr als eigentliche Kjankheitsarten auffasste. 
Das war innerlich die grösste Neuerung in der Doctrin, 
die er gemacht, eine Neuerung, die er mit Hülfe der pa- 
thologischen Anatomie und der besseren üntersuchungs- 
methoden ganz folgerichtig durchgeführt hat und die für 
sein bestimmtes und zuversichtliches Handeln am Kranken- 
bett ihm den Maassstab gab. 

Dass alle diese Reformen sich auf dem Wege der 
mündlichen üeberlieferung verbreiteten, dass er selbst nicht 
in offener Schrift seine Auffassungen aucli den Ferner- 
stehenden zugänglich machte, das war zu entschuldigen, 
ja es war nichts Ungewöhnliches in jener Zeit des Neu- 
baues. Autenrieth's, des grossen Tübinger Klinikers, 
specielle Nosologie wurde nur anonym bekannt^, und 
von dessen CoUegen Kielmeyer, dem Begründer der 
vergleichenden Anatomie, dem Lehrer Cu vi er 's, besitzen 
wir nichts j als die Zeugnisse seiner Schüler und Zeitge- 
nossen ^^ Trotzdem war das literarische Schweigen eine 
Schwäche, und Schönlein's Neider und Gegner wussten 
sie auszubeuten. Man griflf nicht blos seine wissenschaft- 
liche Bedeutung an, sondern man suchte aus allerlei In- 
dicien Verdachtsgründe anderer Art. Die Ultramontanen 
verketzerten ihn als Panthcisten, die Reactionäre als Re- 
publikaner, und ihr Wort hatte Bedeutung, da es bis an 
die Person König Ludwig's heranreichte. Stand doch an der 
Spitze der Angreifer der königliche Leibarzt Ringseis^. 

Allein Schönlein kümmerte sich um diese An- 
feindungen wenig. Er liess seiner erprobten Satyre und 
gelegentlich seiner „göttlichen" Grobheit gegen die Gegner 



25 

mfindlich vollen Lauf, aber nach Aussen hinVmerkte Nie- 
mand etwas von der drohenden Gefahr. Er hielt seine 
EHnik und seine Vorlesungen wie sonst, er sammelte seine 
Assistenten und Schüler um sich und besprach mit ihnen 
die Ereignisse der Wissenschaft; seine Erholung suchte er 
im Kreise seiner Familie und weniger Freunde. Aber auch das 
ward allmählich zum Verdacht. Die Juli-Revolution von 1830 
hatte die lange niedergehaltene Aufregung gerade im süd- 
lichen Deutschland hoch angefacht. Unter den Studenten 
hatten sich seit den Freiheitskriegen die burschenschaft- 
lichen Verbindungen fortgesetzt, und gerade in Würzburg 
hatten diese unter dem Zusammenflusse so vieler Fremden 
eine besondere Stärke behalten. Die Bevölkerung Würz- 
burg^s selbst hatte unter der Leitung des Bürgermeisters 
Behr eine sehr entschlossene liberale Haltung ange- 
nommen, die Universität hatte den Führer der Opposition, 
Professor Seufcrt in die Kammer gesendet, und einer 
der eifrigsten Schüler Seh ön lein 's. Eisenmann, gab das 
am meisten vorgeschrittene Organ im „diesseitigen" Bayern, 
das Würzburger „Volksblatt" heraus. Schön lein selbst 
war nie aus seiner Zurückgezogenheit hervorgetreten, aber 
er hatte auch nicht den Umgang mit jenen Männern abgebro- 
chen, ja er machte aus seinen freisinnigen Neigungen keinen 
Hehl. Neben dem Juliusspitale, in der Kühgasse, io einer 
noch heute bestehenden Bierstube fand sich fast täglich 

eine Gesellschaft von Freunden zusammen, zu denen ausser 

■ 

Behr, Seufert und Schönlein von der medicinischen 
Facultät Textor, Friedreich der Sohn und Hoffmann, 
von der juristischen Brendel, Lauck und Cucumus 
gehörten. 

Diese Zusammenkünfte gaben endlich der Regierung 
den Vorwand, in der härtesten Weise einzuschreiten. 



26 

Unmittelbai* nach dem Hambacher Fest (1832) wurde 
Eisenmann eingekerkert und sämmtliche genannte Pro- 
fessoren ihrer Aemter entsetzt. Schönlein sollte als 
Kreis -Medicinalrath nach Passau kommen; er zog es 
vor, seine definitive Entlassung zu nehmen. Im Anfange 
des Jahres 1833 begannen Unterhandlungen mit dem 
grossen Bathe in Zürich, der ihm eine Professur an der 
neugegründeten Hochschule anbot. Schönlein reiste selbst 
hin, gefiel sich und den Leuten, und entschloss sieh, den 
Ruf anzunehmen ^^ Allein noch ehe die Sache geendet 
war, traf ihn in der Heimath ein neuer Schlag. Das Un- 
glück wollte, dass er mit Seufert gerade in Frankfurt war, 
als dort am 3. April 1833 das bekannte Attentat stattfand. 
In Folge dessen ii^urde ihre Verhaftung beschlossen. 
Schönlein entzog sich derselben, indem er sich eiligst 
in einem Kahne mainabwärts nach Zell zu seinem alten 
Freunde König, dem bekannten Erfinder der Schnell- 
pressen, fahren liess und von da nach Frankfurt eilte ^^ 

So endigte diese Periode seiner Thätigkeit. Die Re- 
gierungspresse ^' hat damals wunderbare Dinge über ihn 
verbreitet, z. B. dass nach dem burschenschaftlichen Plane 
er in dem neuen Deutschland zum Herzoge von Franken 
habe erhoben werden sollen. Meine Nachfragen haben 
nirgends auch nur einen Anhaltspunkt für diese Nachrichten 
ergeben; auch die nächsten Freunde^* schildern den arg 
verleumdeten Mann als einen sehr gemässigten Constitu- 
tionellen, der niemals über seinen Kreis hinaus eine poli- 
tische Einwirkung gesucht habe. Die bayrische Regierung 
aber setzte an seine Stelle einen Schüler und Landsmann 
von ihm, den Sohn des Bamberger Marcus^^, den sie selbst 
neun Jahre zuvor auf ähnliche Verdachtsgründe hin dreizehn 
Monate eingekerkert und dann ohne Urtheil freigelassen 
hatte! Und der Rath der Stadt Würzburg, der eben noch so 



27 

iieismiiig gewesen war, der Schönlein fiur das Wohl der 
Stadt so viel zu danken hatte und der ihm 1827, als die 
Nachricht kam, dass man Schdnlein fiir Berlin gewinnen 
wolle, das Ehrenbörgerrecht ertheilt hatte, der Rath wusste 
sich jetzt, nachdem auch Behr eingekerkert war, nicht 
anders zn helfen, als dass er das Diplom zurückforderte. 
Schönlein schickte dasselbe sofort mit der Aufschrift 
auf dem Couvert: ^Werthlose Papiere.** — 

Wir können uns jetzt kürzer fassen. Die eigentliche 
Blüthezeit dieses Lebens liegt hinter uns. Der Vorbannte 
mochte noch A-iele glückliche Tage haben, aber er war 
nicht mehr der Alte. In sein Wesen kam etwas Zurück- 
gezogenes, ich möchte sagen, Zugeknöpftes ; niemals ist er 
meines Wissens seit dem harten Schlage von Würzburg 
wieder einem grösseren Kreise ganz nahe getreten, wenn- 
gleich er die nun folgende Zeit des ruhigen Familienlebens 
und des heiteren Naturgenusses selbst als die glücklichste 
seines Lebens bezeichnete. Nur kürzere Zeit blieb er in 
Frankfurt als vielgesuchter Praktiker, dann ging er nach 
Zürich. 

Die neuen Verhältnisse wirkten überaus anregend auf 
ihn**. Schon bei dem Pestessen, welches zur Eröffnungs- 
feier der neuen Hochschule gegeben wurde, gewann er 
sich durch eine geistvolle und witzige Tischrede die Her- 
zen der Anwesenden. Seine Antrittsrede als Kliniker be- 
zeichnete vor einem zahlreichen und nicht blos aus Stu- 
direnden bestehenden Auditorium Ziel und Methode seines 
Unterrichts. Aber das Material war knapp zugemessen: 
nur 24 Betten in zwei Sälen standen ihm zur Verfügung. 
Daher regte er bald, wie einst Marcus in Bamberg, den 
Bau eines neuen Krankenhauses an, und obwohl er nicht 
mehr die Freude gehabt hat, die Eröffnung desselben mit- 
zumachen, so konnte er sich doch rühmen, Plan und Aus- 



28 

führuDg desselben geleitet und überwacht zu haben. Das 
neue SpitaUist seitdem eine Pflanzschule der tüchtigsten 
Aerzte geworden, und drei seiner Schüler (Pfeufer, 
Lebert und Oriesinger) haben nach ihm daran gelehrt. 
Aber das alte Spital mit seinem kleinen Zuschnitt ist doch 
die Stätte des grössten Ruhmes der Züricher Hochschule 
gewesen. Mochten auch die deutschen Regierungen den 
Studirenden den Besuch der neuen Universität verbieten, 
die Schüler kamen heimlich, und wer als Student ver- 
hindert war, der stellte sich nach seiner Promotion als junger 
Arzt ein. 

Das gab dem ganzen Unterricht einen höheren, ich 
möchte sagen, strengeren Charakter, und wenn auch der 
natürlich kürzere Aufenthalt der jungen Männer nicht mehr, 
wie in Würzburg, ihr Zusammenschliessen zu einer eigent- 
lichen Schule gestattete, so nahmen sie doch um so tiefere 
Anregungen mit. Unter den Schülern von Zürich wai'en ein- 
zelne, die nachher zu grossen Ehren gekommen sind, aber in 
ihnen brach die naturwissenschaftliche Methode zu ungleich 
grösserer Vollkommenheit durch. Ich erinnere vor Allen 
an Lebert^^, welcher der naturhistorischen Schule am 
nächsten steht und in ihrem Sinne sehr bestimmend auf 
die Anschauungen der jüngeren französischen Untersucher 
gewirkt hat, ja von welchem man sagen kann, dass er das 
naturhistorische Princip in die feinere histologische Anschau- 
ung, in die Lehre von den specifischen Elementen hinein- 
getragen hat. Wie Schönlcin in Zürich als Lehrer war, 
davon hat uns einer seiner damaligen Schüler, später sein 
Nachfolger in der Professur, Griesinger^®, ein vollgül- 
tiges Zeugniss hinterlassen. Er sagt: „Wer, der ihn ge- 
sehen, würde sich hier nicht vor Allem seiner ruhigen, 
ernsten, sicheren Art erinneni, seiner gründlichen Unter- 



29 

sachung. seiner ZmückhaltuDg im Urtfaeil« bis er den FdU 
gehörig durchschaat zu haben glaubte, dann aber auch seiner 
festen, gewiegten, scharf aasgeprägten Aussprache? — Rr 
pfl^te das Besultat seiner Untersuchung in kurzer« bün- 
diger , nichts Wesentliches aus den. Auge lassender Zu- 
sanunenstellung zu geb^n. Er that dies in kräftiger, farb^* 
reicher Sprache, die auch die derberen, }>opuläreu Aus- 
drücke des Süddeutschen, wo sie am Platze waivn, nicht 
verschmähte. Er hatte den Muth einer Meinung und ver- 
tuschte nichts. Er versicherte mehr, als er demonstrirte 
oder gar sich aufs Beweisen einliess; mehr der Magister 
als der Minister naturae trat hervor; dem Schüler schienen 
oft seine Aussprüche die der Natur selbst zu sein; Alles* 
schien er mir damals zu wissen. Alles am Krankenbette 
zu können!^ 

Und doch war die Allwissenheit nur ein Schein, denn ge- 
rade damals beschäftigten ihn auf das Lebhafteste neue Unter- 
suchungen. Ja, das Einzige, was wir von ihm selbst nach sei- 
ner Dissertation gedruckt besitzen, hat er damals publicirt. Es 
sind zwei kleine Notizen, die Johannes Müller in seinem 
Archiv veröffentlichte (1836 und 1839), die eine betreffend 
die sogenannten Typhuskrystalle^', die andere über die 
pflanzliche Natur des Kopfgrindes^**. Beide Arbeiten, 
so klein sie sind, (die eine ist drei; die andere kaum eine 
Druckseite stark,) haben eine bedeutende Anregung zu 
weiteren Forschungen gegeben, und namentlich die letztere 
hat dahin geführt, dass ein ganzes Gebiet parasitischer 
Krankheiten entdeckt worden ist. Für Schön lein selbst 
hatten sie die Bedeutung einer öffentlichen Rechtfertigung, 
insofern alte Ideen aus der naturphilosophischon Zeit 
darin, wenn auch in einer, ungleich beschränkten Gestalt, 
Körper gewonnen. Für uns haben sie den Werth, dass 
sie den scheinbar abgeschlossen habenden Meister uns 



fÜhniDg desselben geleitet und überwacht zu haben. Das 
neue SpitaU ist seitdem eine Pflanzschule der tüchtigsten 
Aerzte geworden, und drei seiner Schiller (Pfeufer, 
Lcbert und Griesinger) haben nach ihm daran gelehrt. 
Aber das alte Spital mit seinem kleinen Zuschnitt ist doch 
die Stätte des grossten Ruhmes der Ziii'icher Hochschule 
gewesen. Mochten auch die deutschen Regierungen den 
Studircnden den Besuch der neuen Universität verbieten, 
die Schüler kamen heimlich, und wer als Student ver- 
hindert war, der stellte sich nach seiner Promotion als junger 
Arzt ein. 

Das gab dem ganzen Unterricht einen höheren, ich 
möchte sagen, strengeren Charakter, und wenn auch der 
natärlich kürzere Aufentlialt der jungen Männer nicht mehr, 
wie in Würzburg, ihr Zusammcnschliessen zu einer eigent- 
liclien Schule gestattete, so nahmen sie doch um so tiefere 
Anregungen mit. Unter den Schülern von Zürich waren ein- 
zelne, die nachher zu gi-o^sen Ehren gekommen sind, aber in 
ilmeii brach die naturwissenschaftliche Methode zu ungleich 
grösserer Vollkommenheit durch. Ich erinnere vor Allen 
an Lcbert**, welcher der naturhistorischen Schule am 
nächsten steht und in ilirem Sinne sehr bestimmend auf 
die Anseliauungen der jüngeren französischen Untersucher 
gewirkt hat, ja von welchem man sagen kann, dass er das 
naturhistorische Princip in die feinei-e histologische Anschau- 
ung, in die Lehre von den specifischen Elementen hinein- 
getragen hat. Wie Schönlcin in Zürich als Lehrer mr, 
davon hat uns einer seiner damaligen Schüler, apttter Boia 
Nachfeier in der Professur, Griesinger'^, ein v< 
tigos Zeugniss hinterlassen. Er sagt: ■:,Wei; der ihn 
sehen, würde sich hier nicht vor AUam seiner rahi 
ernsten, sicheren Art erinnern, -seiner gründlichen d 



r Mm 
ollgtiH 



31 

Italien Urlaub genommen hatte, um dort den exantho- 
matischen Typhus zu studiren, begann er zu Ostern 1840 
seine Vorlesungen hier unter einem ganz ungewöhnlichen 
und dauernden Zudrange der Studirenden und Aerzte. 
Obwohl alsbald durch die tödtliche Erkrankung des Königs 
und nachher vielfach durch Geschäfte bei Hofe in Anspruch 
genommen, wusstc er doch die ihm entgegengebrachte An- 
erkennung durch eifrige Lehrthätigkeit zu vergelten. Noch 
verschiedene Male ging er in tlahrescursen einen grossen 
Theil der speciellen Patliologie und Tlicrapic durch. Wenig 
System, viel Thatsachen — das war das allgemeine 
ürtheil. Nie zuvor hatte ein- innerer Kliniker*' hier eine 
solche Wirkung geäbt. Er war der erste, der nicht bloss 
ganz frei vortrug, sondern diess auch in der besten Form 
der gebildeten modernen Sprache that. Sein Kropfiibel, 
obwohl damals noch von massiger Ausdehnung, erschwerte 
ihm das Sprechen zuweilen nicht wenig; er schien dann 
zu stocken, als fehle der Fluss der Rede, aber niemals Hess er 
eine Periode unvollendet; stets schloss er den Satz in regel- 
mässiger, oft unerwarteter Weise. Die Gegenwart des Geistes, 
die Ordnung der Darstellung, das Planvolle der Eintheilung, 
die Vollständigkeit der einzelnen Abschnitte, die Gleich- 
mässigkeit der Behandlung waren wahrhaft bewundemöwerth. 
Aber allmählich liess der Eifer in den theoretischen 
Vorträgen nach. Die grosse Zahl der Consultationen, die 
Arbeiten im Ministerium, der Aufenthalt bei Hofe*' be- 
günstigten, wie die Erfahrung schon früher in anderen Fäl- 
len gelehrt hatte, die Thätigkeit des Professors nicht. 
Dafür verwendete er um so mehr Eifer auf die Klinik. 
Auch hier brachte er sofort die Neuerung mit, dass die 
bis dahin lateinisch abgehaltenen Vorträge nunmehr deutsch 
wurden, und nach einiger Zeit schloss sich daran die andere, 
dass die bis dahin den Militairärzten allein zugänglichen 



32 

Assistentenstellen durch Givilärzte eingeDommen wurden. 
Die diagnostischen Hülfsmittel wurden alsbald erwei- 
tert und das bis dahin in der ^lateinischen Klinik^ 
unbekannte Mikroskop und das chemische Reagens, das 
wenig gebrauchte Sthetoskop und was sonst dahin gehört, 
traten in ihre Rechte. Von allen Seiten drängten sich 
jüngere, jedoch schon erprobte Kräfte heran, um an der 
Arbeit zu helfen. Güterbock gab, diesmal nicht ohne 
Wissen S ch ö n 1 e i n ' s, einen Band klinischer Vorträge heraus. 
Franz Simon veranstaltete eine Reihe chemischer und 
mikroskopischer Arbeiten im Anschlüsse an die Unter- 
suchung der einzelnen Fälle, welche besonders über die 
Auswurfsstoffe vielerlei neue Gesichtspunkte eröffneten. 
Nach seinem frühen Tode traten Remak und Heintz in 
seine Stelle, um in noch mehr methodischer Weise die 
mikroskopische Diagnostik, die feinere Pathogenie und die 
klinische Chemie in Angriff zu nehmen. Traube begann 
seine thermometrischen Studien und erweiterte in Gemein- 
schaft mit Joseph Meyer in exaktester Weise die phy- 
sikalische Exploration der Brustorgane ^^ 

Schönlein selbst hatte an allen diesen Arbeiten den 
regsten Antheil. Er nahm nicht blos gern Kenntniss von 
ihnen und verwendete sie für den Nutzen der einzelnen 
Kranken und zur Verbesserung oder Abrundung seiner pa- 
thologischen Anschauung, sondern er regte sie auch un- 
mittelbar an, indem er die Aufgaben bezeichnete und die 
Fragen stellte. Unter allem Wechsel der Personen blieb 
er der Mittelpunkt der Klinik, und wenn er, wie es freilich 
immer seltener geschah, zuweilen vom Krankenbett zurück- 
trat und sich gemächlich auf einen Stuhl niederliess, una 
über diese oder jene Krankheit, namentlich wenn sie durch 
eine Autopsie ihren Abschluss gefunden hatte ^*, einen 
zusammenhängenden Vortrag zu halten, so betrachtete jeder 



33 

das als oiueu köstlichen Gewinn, als eine Gunst, beson- 
deren Dankes werth. 

War er als Kliniker auf der Höhe seiner Stellung 
verblieben, so hatte er als consultirter Arzt in den Augen 
der CoUegen noch mehr gewonnen. Aus seiner jreichen 
Erfahrung fehlten ihm Parallelfälle nie; sein vorzügliches 
Gedächtniss, der schön geordnete Haushalt seines Wissens 
gestatteten ihm stets den schnellsten Gebrauch, und in der 
liebenswürdigsten Weise war er gewöhnt, seinen Rath zu 
geben. Und auch in dieser Praxis, die doch so leicht die 
Maniereu grosser Aerzte verdirbt, hat er es nie verlernt, 
fremdes besseres Wissen anzuerkennen. Haben ihn die 
bayrischen Ultramontanen einen Dalai-Lama der Medicin 
gescholten, so hat er es wenigstens seine preussischen 
Collegen nicht fahlen lassen ^^ 

Auch in seiner bevorzugten Stellung im Ministerium*^ 
hat er fremdes Recht nie angegriffen. Das Vorschlags- 
recht der Facultäten bestand zu seiner Zeit ungeschmälert 
und es hatte Einfluss auf die endliche Entscheidung. Er 
hätte es wohl in seiner Macht gehabt, seine Anhänger zu 
begünstigen; er hat im Gegentheil oft eine gewisse Scheu 
gezeigt, gerade diejenigen vorwärts su bringen, die ihm 
am nächsten standen. 

Ihm selber fielen inzwischen die höchsten Titel und 
Orden zu. Aber sein Alter wurde dadurch nicht glück- 
licher, die Zahl seiner Gegner nicht geringer. Immer 
wieder hatten sich die Münchener Ultramontanen, Ringseis^^ 
und Görres^ an der Spitze, mit den herbsten Angriffen 
gegen ihn erhoben. Dazu kamen die Anfechtungen der 
bloss literarischen Gegner. Wunderlich ^^ wurde nicht 
müde, in immer neuer Gestalt die physiologische Heilkunde 
gegenüber der naturhistorischen Medicin zu preisen und 

die Sünden der Schüler an dem Meister zu ahnden. Die 

3 



34 

Publication Güterbock 'rf erregte einen waliren Sturm der 
Kritik^. Für den Meister traten die Schüler, vor Allen 
der unermüdete Sichert^* ein. Schönlein gelbst 
schwieg. Aber sein Herz wurde durch andere Verluste 
empfindlicher getroffen. Zuerst (1846) raffte der Typhus 
die liebenswürdige Gattin dahin, die ihm das Haus zu einem 
so theuren Aufenthaltsorte gemacht hatte ^^. Sein ein- 
ziger, hoffnungsvoller Sohn, der den natui^wissenschaft- 
lichen Neigungen des Vaters gefolgt war, starb auf einer 
botanischen Excursion im westlichen Afrika *'^. 

Diese harten Schläge trafen den sonst so starken Mann 
an seiner verwundbarsten Stelle. Immer mehr schloss er 
sich in seiner T hiergarten- Villa ab; immer häufiger zog er 
sich für eine Zeitlang nach Bamberg zurück. Im Ministe- 
rium gewöhnte man sich an den Gedanken seines baldigen 
Verlustes**. 

So reifte endlich der Entschluss der Entsagung. Eine 
kleine Zeit hielt er noch Ehren halber Stand, dann aber 
war seine Toleranz zu Ende. Trotz des Widerstandes der 
Facultät, trptz der Bitten der Collegen forderte und erhielt 
er Anfangs 1859 seineu Abschied*^, und mit den beiden 
Töchtern, die allein ihm geblieben wai'en, kehrte er wieder 
zu der Heimath, wo er schon lange ein Haus für sich ge- 
baut und eingerichtet hatte. 

Da lebte er wie ein wahrer Weiser, zurückgezogen, 
aber nicht abgeschlossen, in beschaulicher Ruhe, selbst 
beschäftigt in Haus und Garten*®; sein Geist schweifte 
wohl noch in die Ferne, aber nur zu Freunden. Seine 
eigentliche Thätigkeit gehörte der Vaterstadt und der Wis- 
senschaft. Die Geschichte seiner Heimath, die Münzen der 
alten Fürsten, die Länder- und Völkerkunde, die Geschichte 
der Entdeckungen, die Literatiu* der Epidemien — dag 
waren die Aufgaben, denen er fast bis zum letzten Tage 



35 

nachstrebte. Aber nicht um seiner selbst willen. Was er 
sammelte^ war für Andere. Was er sorgte, war über das 
Grab hinaus. Er fühlte wohl, dass seine Zeit sich ihrem 
Ende nahe. Sein Haus ward bestellt. Den Schatz seiner 
Bücher, den er immer noch durch Ankäufe vermehrte, hatte 
er nach und nach an die Bibliotheken von Bamberg und 
Würzburg übertragen®', und als am 23. Januar 1864, durch 
eine Zunahme seines Kropfäbels bedingt, ein schneller Tod 
ihn antrat®^, da starb er ruliig in dem Bewusstsein, dass 
seine Arbeit gethan sei, recht und gerecht. 
Sein Angedenken möge uns heilig sein! 



3* 



II 



i 

I 



•! 



y 



Erläuternde Anmerkungen. 



Di 



'ie nachstehenden Anmerkungen sind etwas weitläufig ausgefal- 
len, weil der Text der Rede es nicht gestattete, alle auf das Leben 
und Wirken Sc hö nie in 's bezüglichen Punkte und noch weniger 
die Einzelnheiten, welche dem Verfasser zu Gebote standen, ein- 
zufügen. Es erschien aber durchaus nöthig, diese Punkte und Ein- 
zelnheiten zu besprechen, insofern ohne sie ein voller Einblick in 
die Entwickeluugsgeschichte und das Wesen des bedeutenden 
Mannes nicht möglich ist. Dazu kommt, dass wohl selten das 
Leben eines deutschen Gelehrten so mannichfaltige und innige Be- 
ziehungen auf die bedeutendsten Zeitgenossen und auf die Ge- 
schichte des deutschen Geistes überhaupt darbietet, und dass daher 
mancherlei erläuternde Nachrichten über Zeitgenossen und Zeit- 
vorgange unumgänglich erforderlich für das Verständniss sind. 
Nichts ist interessanter, als die Periode des Ueberganges, welchen 
der deutsche Geist von den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahr- 
hunderts an bis zu der Mitte des gegenwärtigen durchgemacht, 
und welcher kaum in irgend einer Richtung so scharf gezeichnete 
Repräsentanten gefunden hat, als in den Naturwissenschaften und 
besonders in der Medicin. Unsere menschliche Theilnahme an 
diesen Vertretern der sich neugestaltenden Anschauung von der 
Natur und dem menschlichen Wesen erhöht sich durch die Wahr- 
nehmung, wie sie fast .slmmtlich schon als junge Männer, kaum 
der Lehre entwachsen, wieder Lehrer werden und bald auch 
ihrerseits neben sich aus ihren Schülern wieder neue Lehrkräfte 
erwachsen sehen. Es ist ein jugondfrisches Ineinander wirken, wie 
nur eine solche Frühlingszeit der Wissenschaft es erzeugen kann, 
ein Ineinanderwirken , welches eben deshalb auch äusserlich den 
unbefangenen, ich möchte sagen, heiteren, ja duftigen Charakter 
der Jugend trägt. Dio Arbeiten wachsen hervor in üppiger Fülle, 



40 

wie die Knospen des Frühlings, und die Sprache der jungen Ge- 
lehrten ist blumenreich und schnnickvoU , wie die Flur im Mai. 
Aus dem öden Winter der Scholastik und Dogmatik werden die er- 
staiTten Geraüther erweckt, zuerst durch die Sonne der Philosophie, 
die Kant leuchten lässt, und die Methode der neuen Zeit 
dringt zu ihnen auf den „Wogen des Gesanges", den Göthe an- 
stimmt. Von Kant zu Walther, von Göthe zu Döllinger, 
und wieder von Walther und Döllinger zu Schönlein geht 
eine immer mächtigere, aber immer zusammenhängende Erregung 
zu voller und ganzer Naturerkenntniss, und wie sich auch allmäh- 
lich der Blick des Natui-forschers erweitert und sein Schritt an 
Festigkeit gewinnt, so behält er doch immer den philosophischen 
Sinn und den poetischen Schwung, welche jene ersten Anregungen 
ihm zu eigen gemacht haben. Das ist der Charakter der neuen 
Schule. Hinter ihr tauchen von Zeit zu Zeit die mürrischen Häup- 
ter der Mystiker auf, gleich den drohenden Wolken, welche die 
junge Frühlingssaat mit Schnee und Schlössen zu ertödten 
drohen; zuweilen verdunkelt sich der Himmel, der Blitz fährt nie- 
der, der Sturm jagt über das Feld, aber bald geht das Unwetter 
vorüber, und wie der vielgeprüfte Arbeiter am Abende seines 
Lebens um sich schaut, siehe, da ist überall ein neues Geschlecht 
daran, die Arbeit des neuen Wissenschaftstages in seinem Sinne 
und mit noch besseren Mitteln vorzubereiten. 

Es wäre vielleicht vorzuziehen gewesen, nach diesen Gesichts- 
punkten das Ganze in mehr zusammenhängender Weise umzuarbeiten 
und so vor den Augen der Epigonen ein Stück deutscher Wissen- 
schaftsgeschichte im Zusammenhange aufzurollen, welches im Ganzen 
noch 80 wenig gekannt ist. Die Geschichte derjenigen drei Univer- 
sitäten, welche damals Brennpunkte der medicinischen Entwicklung 
waren, Bamberg, Landshut und Würzburg, wäre wichtig genug, um 
sie in einem solchen Lichte darzustellen. Aber die Zeit fehlt dem 
Verfasser in diesem Augenblick, um eine solche Aufgabe lösen zu 
können, und er hofft, seinen Zweck für den aufmerksamen Leser 
auch in der hier gewählten Form zu erreichen. Die Trennung des 
zu Berichtendon in einzelne Anmerkungen hat sogar den Vorzug 
der grösseren Objectivität, und der Verfasser glaubt wenigstens 
der Anerkennung sicher sein zu dürfen, dass er in der Vollstän- 
digkeit und Treue der Wiedergabe des thatsächlichon Stoffes auch 
strengen Anforderungen genüj^t hat. 



41 

1 Zu S. 3. Als Geburtsjahr Schönlein *s findet sich bei meh- 
reren früheren Schriftstellern 1796 angegeben. Nach dem Tauf buche 
ist er am 30. Nov. 1793 geboren und am 1. Dec. in der Pfarrei 
St. Martin getauft worden. In der Taufe erhielt er von seinem 
Pathen, Johann Göller, einem Büttner (vietor im Taufbuch), 
den Namen Johann. Den Beinamen Lucas scheint er sich spätor 
aus eigener Entschliessung beigelegt zu haben, möglicherweise 
desshalb, weil der Evangelist Lucas als Arzt (und Maler) be- 
zeichnet wird. Er war das einzige Kind seiner Eltern. 

2 Zu S. 4. Die früher vielfach verbreitete Angabe, dass 
Schön lein aus einer jüdischen Familie stamme, scheint auf einer 
Verwechselung mit Marcus zu beruhen. Die Familie Schönlein 
ist ein altes , eingebomes Bamberger Geschlecht, welches in ver- 
schiedenen Seitenlinien besteht. Sein Vater Thomas war Seiler 
(im Taufbuch restiarius) und wohnhaft in der jetzigen Königs- 
strasse Distr. II. Nr. 1151. Das Haus gehört auch gegenwärtig 
einem Seilermeister (Dan. Schmitt). Ein Schulkamerad Schön- 
leiu's, der nachmalige Professor der Pharmacie und Mineralogie 
an der Würzburger Universität und als solcher später mein College, 
Ludwig Rumpf (geb. 22. Novbr. 1793) pflegte von ihren bei- 
derseitigen Jugendstreichen zu erzählen, und mit besonderer Treue 
hielt sein Gedächtniss daran fest, wie der alte Seiler Schönlein 
seinem Sohne zuweilen mit einem Stück Strick über die Brücke 
nachgelaufen sei, und wie der alte Rumpf ihm aus seiner Apotheke 
zugerufen habe: „Herr Nachbar, geben Sie dem meinen auch ein 
Paar Hiebe." Bach*) berichtet, dass Schönlein Anfangs auch 
zum Seiler bestimmt gewesen sei und dass er selbst -lange nachher 
eines Tages, als er in Zürich über die Ursachen der Schwindsucht 
sprach, in einem klinischen Vortrage erzählt habe, wie er, „als er 
noch beim Handwerk war", durch den Stiiub bedeutend gelitten 
habe und in Gefahr gewesen sei, phthisisch zu werden. Die Mutter, 
Margaretha, geborene Humer, stammte aus Vilseck (in der Ober- 
Pfalz, 3 Stunden von Amberg). Sie war eine Schwester der Frau 
Göller, der Mutter des nachmals bedeutend gewordenen Philo- 
logen Franz Göller (geb. 17. März 1790, t ^ Decbr. 1853 als 



•) Bach. Joh. Luc. Schönlein. Ein Nekrolog, vorgetragen in der 
Frühlingssitzuug der med. chir. Gesellschaft des Kantons Zürich. 
April 1864. S. ö. 



42 

Professor in Cöln), dessen Briefwechsel mit Friedrich Jacobs 
körzlich von H. Düntzer herausgegeben ist*) Göller's Vater 
besass die Bierbrauerei zur weissen Rose, gleichfalls in der 
KOnigsstrasse. 

^ Zu S. 4. Ein gewiss competenter Zeuge, der Domcapitular 
Johann Bothlauf**) in Bamberg, sagt in seiner Gedenkrede von 
Schön lein: „Die Wissenschaft hatte ihn nicht aufgebläht und 
vom Christeuthum abgezogen, er war und blieb ein mildthätiger 
Christ, er war und blieb Katholik. Die Grundsätze der katho- 
lischen Beligion, welche er in zarter Jugend eingesogen und sich 
eingeprägt hatte, wurden ihm durch nichts entfremdet; sie blieben 
ihm, wie er bei so vielen Gelegenheiten zeigfte, wie er besonders 
in seinem während seines Wirkens in Berlin schon gemachten 
Testamente deutlich aussprach, lieb und theuer.'' In den letzton 
Jahren seines Lebens besuchte er an Sunu- und Festtagen die 
Kirche St. Jacob in der Stadt, wo die Franciscaner den Gottes- 
dienst besorgen ; bei denselben legte er alljährlich seine österliche 
Beichte und Coromunion ab; auch unterstützte er diese Kirche 
mit reichlichen Geldspenden. Der Stadtpfarrer Schweitzer war 
vorzugsweise der Vormittler seiner wohltliätigen Spenden, und der 
Pfarrkirche selbst, zu deren Sprengel sein Geburtshaus gehört 
hatte, machte er sehr ansehnliche Schenkungen **♦). Als dieselbe 
1863 ihr 800 jähriges Jubiläum feierte, bestritt er aus eigenen 
Mitteln einen grossen Theil der Festausgaben und gab sein reiches 
Tafelservice und seinen Wein zu dem Festmahle, an welchem der 
Erzbischof mit 12 Priestern Theil nahm und zu welchem Schön- 
lein als der einzige Laie zugezogen wurde. Alljährlich am Weih- 
nachtsfeste stattete er 12 Kinder der Pfiirrei mit Festgaben aus. 
Die sehr nahe bei seiner Woliming gelegene Pfarrkirche zu St. 
Gangolph besuchte er dagegen selten, da die Gemeinde fast ganz 
aus Gärtnersleuten besteht und er ffirchten nuisste, durch sein 
Erscheinen Aufsehen zu erregen. 

In seiner Borlinor Zeit stand er naniontlich mit dem Cardinal 
Diepenbroek in Beziehung, den er seiner milden kirchlichen 



•) Vermischte Schriften von Fr. Jacobs. Bd. IX. Leipzig 1862. 

**) Siebenundzwanzigster Bericht über das Wirken und den Stand 
des historischen Vereins zu Baniberpr. 1864. S 148. 

***) Man vergleiche Anni. (53. 



43 

Gesinnung wegen hochschätzte. König Friedrich Wilhelm IV. 
schickte ihn 1852 zu dem schwer erkrankten Kirchenfürsten nach 
Schlesien mit einem eigenhändigen Briefe*). 

* Zu S. 4. Bach, von dem Rohlauf**) angiebt, dass 
seine Darstellung grösstentheils auf den persönlichen Mittheilun- 
gen Sc höhlein 's beimhe, berichtet: ,,Sein erster Lehrer, dessen 
er stets mit besonderer Liebe und Dankbarkeit gedachte, erweckte 
in ihm durch Anleitung zum Sammeln von Steinen, Pflanzen und 
Insekten schon sehr früh den Sinn für Naturgegenstände." Ich 
habe nicht in Erfahrung bringen können, wer dieser Lehrer ge- 
wesen ist. Als einer seiner Professoren wird mir der als Ober- 
bibliothekar in München verstorbene Lichtenthaler genannt, 
mit dem er auch später immer noch Beziehungen unterhielt. Wei- 
terhin erzählt Bach: „Die Ferienzeit bnichte der junge Gymna- 
siast grösstentheils auf dem Lande bei seinen Grosselteru zu, die 
einen Mühlengewerb in Lohndorf, einem kleinen Oertchen im frän- 
kischen Jura, besassen. Später nahm ihn sein Firmpathe öfter auf 
seine Fusstouren in der fränkischen Schweiz mit, und mächtig 
wirkte auf das junge, empfängliche Gemüth die herrliche Land- 
schaft, die malerisch gruppirten Berge, die freundlichen, von fisch- 
reichen Bächen durchströmten Tliäler, und auch diese Ausflüge 
wurden wieder vorzugsweise dazu benutzt, Naturgegenstände, be- 
sonders Petrefakten, an welchen jene Thäler so reich sind, zu 
suchen und zu sammlen." 

^ Zu S. 4. Wenn ich im Texte fast nur des Vaters gedaclit 
habe, so wäre es doch wenig im Sinne Schönlein 's, wenn ich 
das vielleicht grössere Verdienst der Mutter nicht ausdrücklicli 
erwähnen wollte. Bach sagt von ihr: „Seine Mutter, eine 
schlichte Bürgersfrau voller Lebendigkeit und Verstand, die in 
ihrem Wesen in manclicr Beziehung lebhaft an Göthe's Mutter 
erinnerte, und mit der er auch körperlich viele Aehnlichkeit hatte, 
liebte den Knaben unaussprechlich und hatte auf seine Erziehung 
und Charakterbildung den unbedingtesten Einfiuss. Sie erreichte 
ein hohes Alter und au ihr hing Schönlein bis an ihres Lebens 
Ende mit rührender Pietät. Ihr zu Liebe baute er später in der- 
selben Strasse, wo seine Eltern ihr Geschäft hatten, und wo er 



*) Förster. Lebensbild vom Cardinal Diepenbroek. 1859. S. 248. 
♦*) Rothlauf a. a. 0. S. 153. Anm. 



44 

geboren war, ein Hans, in welchem sie ihr Leben beschloss nnd 
in dem anch er seine letzten Tage zubrachte.'* Und später (S. 7) 
heisst es: ,,Fast die ganze üniversitätszeit (Schönlein's) fiel in 
die schweren Eriegsjahre und nnr der Energie und dem praktischen 
Sinn seiner vortrefflichen Mutter, die nur ffir den Sohn lebte und 
ahnungsvoll seine künftige Grösse zu erkennen schien, verdankte 
er es, dass er seine Studien vollenden konnte." Dafßr hatte die 
würdige Frau auch das Glück, die glänzende Laufbahn ihres ein- 
zigen Kindes bis zu ihrem Höhenpunkte zu erleben, nnd der brave 
Sohn seinerseits genoss die Freude, durch die liebevollste Sorge, 
durch immer neue Besuche und Aufenthalte in Bamberg sei- 
nen Dank im vollsten Maasse der geliebten Mutter darbringen zu 
können. 

* Zu S. 5. Franz Ludwig von Erthal (geb. 16. Sept. 
1730, gest. 14. Febr. 1795), Fürstbischof von Bamberg und Wflrz- 
burg, Herzog zu Franken, ist in der neueren Zeit immer mehr 
in die Ehren der Geschichte eingesetzt worden*) Seine Verord- 
nungen über das philosophische Studium hat Ruland**) gesam- 
melt; sie verdienten als ein Muster einsichtsvoller landes- 
fflrstlicher Fürsorge allgemein gekannt zu sein. Wie er durch 
seine Unterstützung talentvoller junger Männer unmittelbar in die 
Entwickelung der Medicin eingegriffen hat, das werden einige fol- 
gende Anmerkungen zeigen. Hier erwähne ich nur, dass er den 
Professor Matern Reuss auf seine Kosten nach Königsberg 
schickte, um Kant zu hören, in dessen Umgange sich über et- 
waige dunkle Stellen seines Systems Aufschluss zu verschaffen 
und dann dasselbe auch an der Universität Würzburg, die hierin 
allen katholischen Universitäten vorangegangen ist, vorzutragen***). 



*) Geschichte der Würzburger Bischöfe nach Gropp. Würzb. 
1849. Bd. n. S. 502 - 60. — Franz Ludwig's Lebensbild von Bern- 
hard (Pseudonym für H. Reue hl in). Tübingen 1852. Wegelc. Die 
Reformation der Universität Wirzburg. Festrede zur Jahresfeier der 
L'niversität. Wirzb. 1863. S. 10 

*♦) A. Ruland. Franz Ludwig^s Verordnungen und Rescripte be- 
züglich des Studiums der Philosophie an der Universität Wirzburg- 
Wirzb. 1852. 

*♦*) Sieben und zwanzigster Bericht des bist. Vereins zu Bamberg. 
S. 65. Anm. 



44 

geboren war, ein Hans, in welchem sie ihr Leben beschloss und 
in dem auch er seine letzten Tage zubrachte.'^ Und später (S. 7) 
heisst es: „Fast die ganze Universitätszeit (Schönlein^s) fiel in 
die schweren Eriegsjahre und nur der Energie und dem praktischen 
Sinn seiner vortrefflichen Mutter, die nur ffir den Sohn lebte und 
ahnungsvoll seine künftige Grösse zu erkennen schien, verdankte 
er es, dass er seine Studien vollenden konnte/' Dafür hatte die 
würdige Frau auch das Glück, die glänzende Laufbahn ihres ein- 
zigen Kindes bis zu ihrem Höhenpunkte zu erleben, und der brave 
Sohn seinerseits genoss die Freude, durch die liebevollste Sorge, 
durch immer neue Besuche und Aufenthalte in Bamberg sei- 
nen Dank im vollsten Maasse der geliebten Mutter darbringen zu 
können. 

* Zu S. 5. Franz Ludwig von Erthal (geb. 16. Sept. 
1730, gest. 14. Febr. 1795), Fürstbischof von Bamberg und Wflrz- 
burg, Herzog zu Franken, ist in der neueren Zeit immer mehr 
in die Ehren der Geschichte eingesetzt worden*) Seine Verord- 
nungen über das philosophische Studium hat Ruland**) gesam- 
melt; sie verdienten als ein Muster einsichtsvoller landes- 
fflrstlicher Fürsorge allgemein gekannt zu sein. Wie er durch 
seine Unterstützung talentvoller junger Männer unmittelbar in die 
Entwickelung der Medicin eingegriffen hat, das werden einige fol- 
gende Anmerkungen zeigen. Hier erwähne ich nur, dass er den 
Professor Matern Reuss auf seine Kosten nach Königsberg 
schickte, um Kant zu hören, in dessen Umgange sich über et- 
waige dunkle Stellen seines Systems Aufschluss zu verschaffen 
und dann dasselbe auch an der Universität Würzburg, die hierin 
allen katholischen Universitäten vorangegangen ist, vorzutragen ♦♦♦). 



♦) Geschichte der Würzburger Bischöfe nach Gropp. Würzb. 
1849. Bd. II. S. 502 - 60. — Franz Ludwig's Lebensbild von Bern- 
hard (Pseudonym für 11. Reue hl in). Tübingen 1852. Wcgele. Die 
Reformation der Universität Wirzburg. Festrede zur Jahresfeier der 
Universität. Wirzb. 1863. S. 10 

*♦) A. Ruland. Franz Ludwig's Verordnungen und Rescripte be- 
züglich des Studiums der Philosophie an der Universität Wirzburg- 
Wirzb. 1852. 

*♦*) Sieben und zwanzigster Bericht des bist. Vereins zu Bamberg. 
S. 65. Anm. 



45 

' Zu S. 6. Die Bamberger Bibliothek*) wurde 1609 gestif- 
tet, als der Fürstbischof Joh. Friedrich von Aschhausen 
die Jesuiten berief , um ihnen die öffentlichen Unterrichtsanstalten 
zu übertragen. Nachdem 1773 der Orden auch in Bamberg auf- 
gehoben war, kam die Bibliothek grösstentheils an die Universität. 
Erst durch Franz Ludwig, der sowohl den Bücherschatz ver- 
mehrte, als auch neue und prachtvolle Anbauten machen Hess, 
gewann sie die Bedeutung, welche sie seitdem bewahrt hat. 
Schönleiu benutzte sie schon als Gymnasiast und Student sehr 
fleissig, gehörte als emeritirter Professor zu ihren fleissigsten Be- 
suchern und hört« bis zu seinem Tode nicht auf, sie in der reich- 
lichsten Weise zu bedenken. Nach einer Mittheilung des Herrn 
Bibliothekar Stenglein besitzt sie gegenwärtig 101,551 selbst- 
standige Bände, 199,206 Gelegenheitsschriften, Programme und 
Dissertationen, 4403 Handschriften, meist auf Pergament, 5621 Pa- 
läotypen und Incunabeln, 3588 Karten, 62,780 Kunstblätter, Hand- 
zeichuuugen, Wassermalereien u. dgl., 4366 bronceue Münzen. 

® Zu S. 6. Die erste Erwähnung eines Spitales**) findet sich 
beim Jahre 1224, wo Bischof Ekbert, der Oheim der heiligen 
Elisabeth, die ersten drei vom heiligen Franciscus von 
Assissi nach Bamberg geschickten Missionäre in das Frauen- 
siechhaus am Sande aufnahm. 

» Zu S. 6. Adalbert Friedrich Marcus (früher Mark 
oder Marx, geb. 1753 zu Arolsen, gest. 1816) hatte seine medi- 
cinischen Studien gleichzeitig mit Ackermann und Blumen- 
bach in Göttingen gemacht, später in Würzburg unter Siebold 
fortgesetzt und war 1778 nach Bamberg gekommen. Sehr bald 
trat er in nähere Beziehungen zu Franz Ludwig, wurde unter 
Verdrängung des alten Professor D ö 1 1 i n g e r zu dessen Leibarzte 
ernannt, und nachdem er sich 1781 von dem Fürstbischof hatte 
'taufen lassen, mit den höchsten medicinischen Aemtern betraut. 
Auf seine Anregung gründete der edle Fürst 1789 das neue Kran- 



*) Jäck. Vollständige Beschreibung der öffentlichen Bibliothek zu 
Bamberg. Nürnb. 1831 — 35. Petzholdt. Beschreibung der deutschen 
Bibliotheken. 1853. 

**) Fr. Wunder. Sechszehnter Bericht des hist Vereins zu Bam- 
berg. 1853. S. 169. Virchow. Archiv f. pathol. Anat Bd. XVIIL 
S. 156, 312. 



46 

kenhaus für 120 Betteu, an welckem alsbald auch der klinische 
Unterricht mit so viel Erfolg eingeföhrt wurde, dass die Zuhörer 
von allen Seiten herbeiströmten und ihre Zahl bald 100 überstieg. 

In den Lehren Cullen 's erzogen, ging Marcus alsbald zum 
Brownianismus, dann zur Erregungstheorie und endlich zur Natur- 
philosophie und zu der phlogistischen Doctrin über, ein warnendes 
Beispiel, wie selbst die geistreichsten Menschen ohne zuverlässige 
Methode ein Spielball fremder Theorien werden. Damals schadete 
dieser Wechsel seinem Ansehen nicht; die bedeutendsten Männer, 
Hufeland, Reil, Schelling, die beiden Schlegel, Steffens 
kamen nach Bamberg, um die klinische Thätigkeit des berühmten 
Lehrers zu sehen. Auch war das praktische Wirken des geist- 
reichen Mannes bewundemswerth. Als das kleine Land 1802 an 
Kurbayern gefallen war, gelang es Marcus, der an die Spitze 
des Medioinalwesens der neu erworbenen Provinz gestellt ward, 
eine ganze Reihe neuer Anstalten ins Leben zu rufen. Die Abtei 
Michelsberg wurde in ein allgemeines Versorgungshaus verwandelt, 
ein eigenes Haus für Unheilbare, eine Irrenanstalt, eine Entbin- 
dungsanstalt, ein Krankenwärter-Institut wurden gegründet. 1803 
wurde die Universität aufgelöst, aber Marcus setzte es durch, 
dass die Begierung eine medicinisch-chirurgische Schule einrichtete, 
und auch diese blühte unter der Mitwirkung der neu berufenen 
Professoren Kilian und Phil. Walther schnell empor*). Das 
war die Zeit, in welcher der junge Schönlein sich zu dem Stu- 
dium vorbereitete. Ob er jemals unmittelbare Impulse von Mar- 
cus empfangen hat, habe ich nicht feststellen können ; die gesell- 
schaftlichen Beziehungen des vielgesuchten Medicinal- Direktors 
waren so vorwiegend den vornehmeren, namentlich den adligen 
Kreisen zugewandt, dass die streng bürgerliche Familie Schön- 
lein davon schwerlich berührt wurde. Aber ein grosser mittel- 
barer Einfluss ist gewies nicht zu bezweifeln. 

*^ Zu S. 7. Diese Einwirkung, welche namentlich durch den 
Grafen Thürheim vermittelt wurde, hat Wegele**) in seiner 
Festrede des Näheren dargelegt. 



* J. H. Jäck. Adalb. Fr. Marcus, nach dem Leben und Charakter 
geschildert. Erlangen 1813. Speyer und Marc. Dr. A. F. Marcus, 
nach seinem Leben und Wirken geschildert. Bamb. und Leipz. 1817. 

♦*) Wegele a. a. 0. S. 12. 



47 

>' Zu S. 7. Cajetan Textor (geb. 1782, f 1860) besuchte 
die Uuiversitat Landshut von 1804 — 1808. Nachdem er seine 
Inaugural- Dissertation über die Lungenschwindsucht am 21. Mai 
1808 unter dem Vorsitze Phil. v. Walther 's vertheidigt hatte 
und promovirt war, machte er längere Reisen durch Frankreich, 
Italien und Deutschland, und wurde 1816 rtofessor der Chirurgie 
in Wurzburg*). Hier zählte Schönlein zu seinen ersten Schü- 
lern und bald zu seinen Collegen. 

'^ Zu S. 7. Ein gewiss unverdächtiges Zeugniss für diese 
Periode legt v. Rings eis ab. Er sagt: »An der Universität 
Landshut war damals ein Kreis ausgezeichneter Lehrer und Jüng- 
linge; in der medicinischen Facultät ausser Bertele, Tiedemann 
und Schmidtmüller der unbestechlich redliche, treue und 
wahrhafte Röschlaub mit seinem Atome spaltenden dialektischen 
Scharfsinn; in der theologischen nebst Zimmer und Winter 
der in Allen und Allem das vorhandene Goldkorn herausfindende, 
Liebe und Milde athmende Seiler; in der juristischen, nach Ab- 
treten Feuerbach's, Gönner's und Hufeland's, Friedrich 
Carl V. Savigny, eine höchst adlige Erscheinung, strahlend 
schon damals in der Krone jugendlichen Ruhmes, und gefolgt von 
seiner liebenswürdigen Familie und dem ihm verwandten genialen 
Geschwisterpaar, Clemens und Bettina Brentano. Diese 
Männer, alle umgeben von einer grossen Zahl lernbegieriger, an 
ihren Lippen hängender Jünger, bildeten Mittelpunkte von Lehrern 
und studirenden Jünglingen, und wirkten noch wohlthätiger als 
durch ihre Vorträge, durch ihren persönlichen Umgang." ♦♦) 

•3 Zu S. 8. Joh. Andreas Röschlaub, geb. 1768 zu 
Lichtenfels bei Bamberg, studirte Anfangs Theologie, dann zu 
Würzburg und Bamberg Medicin, wurde gerade, als das Brown'- 
sche System in Deutschland eingedrungen war, Professor an der 
Universität zu Bamberg, wo er in Verbindung mit Marcus die 
eigentliche Blüthezeit der medicinischen Studien herbeiführte. Allein 
schon 1800 nahm er einen Ruf nach Landshut an. Nachdem er 



*) Rubach. Gedächtnissrede auf Textor. Würzb. medic. Zeit- 
schrift. 1860. Bd. L S. XXXIV. — Nekrolog Textor's im Archiv für 
klinische Chirurgie. 1861. Bd. L S. 493. •• . 

*) Joh. Nep. v. Rings eis. Rede zum Andenken Phil. v. Wal- 
ther's. München 1851. S. 31. 



48 

auch hier die Blüthezeit der Uuiverdität miterlebt hatte, wurde er 
1824 in den Kuhestand versetzt, jedoch bei der Verlegung der 
Universität nach München auf Verwendung v. Rings eis' wieder 
in die Lehrthätigkeit als Professor der medicinischen Encyklopädie 
und Methodologie eingesetzt. Er starb 1835.*) Vgl. Anm. 18. 

** Zu S. 9. Frfedrich Tiedemann (geb. 1781 zu Cassel, 
gest. 1861 zu München) studirte 1798—1802 in Marburg Medicin 
und ging dann ,,nach Bamberg, um sich unter Marcus' Leitung 
in der praktischen Medicin auszubilden; auch machte er daselbst 
die Bekanntschaft Döllinger's, der Armenarzt war und ihm die 
Praxis eines Stadtviertels übertrug.** *♦) Im Herbst desselben Jahres 
wendete er sich nach Würzburg und besuchte unter Thomann 
und Casp. v. Siebold die klinischen Anstalten des Juliusspitals. 
Nachdem er dann wieder eine Zeit lang in Marburg verweilt hatte, 
kehrte er im Herbst 1804 noch einmal nach Würzburg zurück, 
präparirte unter Hess elb ach Nerven und hörte bei Schelling 
Naturphilosophie. Von da ging er i^ber Frankfurt, wo er So Di- 
mer ring besuchte, nach Paris. Aber schon 1805 erhielt er, da- 
mals 25 Jahr alt, die ordentliche Professur der Zoologie, der 
menschlichen und der vergleichenden Anatomie in Landshut. Im 
Herbst 1811, also unmittelbar vor der Zeit, wo Schönlei u die 
Universität bezog, unternahm er die Beise an das adriatische Meer, 
deren Frucht seine berühmte, von dem französischen Institut 1813 
gekrönte Abhandlung über die Anatomie der Holothurien, Seesteme 
und Seeigel war. Daran schloss sich 1813 die Anatomie der 
kopflosen Missgeburten und 1816 die Anatomie und Bildungs- 
geschichte des Gehirns, zwei der bedeutendsten embryologischen 
Arbeiten, von denen die erstere die wichtigste Bedeutung für die 
Pathologie ei langte, während die zweite die unmittelbare Vor- 
läuferin der Würzburger Arbeiten über Entwickelungsgeschicbte 
war. Ihre nahe Beziehung zu Schönlein\s Entwickelung liegt 
auf der Hand. 

*^ Zu S. 9. Philipp Franz Walther (später geadelt, 



*) Juck. Zweites Pantheon der Literaten und Künstler Bamberg's 
vom XI. Jahrhundert bis 1844. Bamberg 1844. S. 105. Leupoldt 
Geschichte der Medicin. Berlin 1863. S. 510. 

♦♦) Th. L. W. Bisch off. Gedächtnissrede auf Fr. Tiedemami 
München 1861. S. 5. 



49 

geb. 1782 zu Burweiler in der Rheiupfalz, f 1849 zu München), 
machte seine medicinischen Studien zu Heidelberg und Wien, wo 
er hauptsächlich von den beiden Franko Johann Peter und 
Joseph, und von Beer in die praktische Medicin eingeführt 
wurde*). 1803 wurde er auf der Universität Landshut promovirt. 
Kurze Zeit vorher hatte er in München die Bekanntschaft von 
Marcus gemacht, der dahin gekommen war, um über seine 
Stellung als neuernannter General -Director des Medicinalwesens 
in den eben erworbenen fränkischen Herzogthümern Information 
einzuholen. Marcus erkannte die Bedeutung des jungen Mannes, 
und schon unter dem 28. Februar 1803 ♦♦) erhielt er durch B^script 
des churf. fränkischen General-Commissariats seine Anstellung als 
Gehülfe der Bamberger Medicinal-Direction, „damit, nachdem er seine 
theoretischen und praktischen Studien zu Wien auf eine ausge- 
zeichnete Weise vollendet und sich besonders in der Behandlung 
der Augenkrankheiten eine seltene Geschicklichkeit erworben, er 
Gelegenheit erhalte, seine Talente und erworbenen Kenntnisse zum 
Besten der churfürstlichon Erbstaaten auszubilden und praktisch 
anzuwenden.'^ Bald darauf ward er zum Medicinalrath, zum Ober- 
wundarzt am Krankenhaus und zum Professor der Chirurgie an 
der neugegründeten medicinisch- chirurgischen Schule ernannt. In 
dieser Stellung gründete er ein mit dem Allgemeinen Kranken- 
hause verbundenes Augen -Institut, welches bald von weit und 
breit Kranke anzog***). Allein schon nach 2 Jahren, wahrend 
welcher er überdies eine längere Beise nach Paris unternahm, 
1805 übernahm Walther den Lehrstuhl der Physiologie und 
Chirurgie in Landshut. HOren wir über diese Zeit seinen lang- 
jährigen Schüler, der später sein gefährlichster Gegner ward. 
»Hier in Landshut,« sagt v. Bingseisf), »die Epoche seiner 
grössten und jugendlich frischesten Thatkraft; hier der Glanzpunkt 



*) Nekrolog Ph. Franz v. Walther's in der Neuen medicin.-chir. 
Zeitung. 18öO. Nr. 12. 

**) Walther selbst giebt sonderbarerweise in seiner Gedächtniss- 
rede auf DöUingcr S. 74 das Jahr 1801 an, jedoch ist dies nach 
allen meinen sonstigen Nachrichten ein Irrthum. 

•♦*) Speyer und Marc a. a. 0. S. 71. 

t) Joh. Nep. V. Bings eis. Bede zum Andenken Phil. Franz 
v. Walther's. München 1851. S. 30., 

4 



46 

keohaus IQr 120 Betten, au welchem alsbald auch der klitiische 
Unterricht mit so viel Erfolfr einffefohrt wurde, dass die Zuliörer 
von allen Seiten tierbeiatrümten und ihre Zahl bald lOO Qbert-tieg. 
In deu Lehreu Cullen's erzogen, ging Marcus alshnid zum 
Brownianismns, dann zur Erregungstheorie und endlich zur Natur- 
philosophie and zu der phlogiB tischen Doctrin über, ein warnendes 
Beispiel, wie selbst die geistreiclisten Menschen ohne zuverlässige 
Methode ein SpielbaJl fremder Theorien werden. Damals schadete 
dieser Wechsel seinem Ansehen nicht; die bedeutendsten Manner, 
Hufeland, Keil, Scholling, die beiden Schlegel, Steffens 
kamen nach Bamberg, um die klinische Thätigkeit des berühmten 
Lehrers zu sehen. Auch war das praktische Wirken des geist- 
reichen Mannes bewundemswerth. Als das kleine Land 1802 an 
Kurbayern gefallen war, gelang es Marcus, der an <lie Spitze 
lies Medicinalwesens der neu erworbenen Provinz gestellt ward, 
eine ganze Beihe neuer AnstAlten ins licben zu rufen. !Me Abtei 
Michelsberg wurde in ein allgemeines Versorgungshaus verwandelt, 
ein eigenes Hans för Unheilbare, eine Irrenanstalt, eine Entbin- 
dungsanstalt, ein Krankenwärter- Institut wurden gegrOndet. 1803 
wurde die Universität aufgelöst, aber Marcus setzte es durch, 
dat» die Regierung eine mediciuisch- chirurgische Schule einrichtete, 
und auch diese blühte unter der Mitwirkung der neu berufenen 
Professoren Kilian und Phil. Walther schnell empor'J. Daa 
war die Zeit, in welcher der junge SchOnlein sich iii dem Stu- 
dium vorbereitete. Ob er jemals unmittelbare Impulse von Mar- 
cus empfangen hat, habe ich nicht feststellen k(}nnen ; die geaell- 
schaftlichen Beziehungen des vielgesuchten Medicinal -Direktors J 
waren so vorwiegend den vornehmeren, namentlich den adligen I 
Kreisen zugewandt, dass die streng bürgerliche Familie Sch6n-I 
lein davon schwerlich berührt wurde. Aber ein grosser mittelf^ 
barer Einfluss ist gewies nicht zu bezweifeln. 

'" Zu S. 7. Diese Einwirkung, welche namentlich durch c 
Grafen Thürheim vermittelt wurde, hat Wegele*") in aeiJ 
Festrede des Näheren dargelegt, 

* J- H. Jäck. Adalb. Fr. Marcus, nach dem Leben und CharJ 
geschildert Erlangen 1S13. Speyer und Marc Dr. A. F. : 
nach seinem Leben und Wirken geschildert. Bamb. und Leipxl 
•') Wegele a, ». 0. S. 12. 



51 

noth wendigkeit , wie jeder andere physische Vorgang." Aber er 
setzt auch sofort hinzu: „Wie wenig die Heilkunde, auch im 
reichsten und überschwänglichsten Genüsse aller Besitz thümer, 
welche die sorgfaltigste Bearbeitung der Chemie, Naturgeschichte, 
Physik ihr darbietet, der tragenden Stütze der Philosophie ent- 
behren könne, zeigt sich deutlich in der Verwaltung der französi- 
schen Praxis." 

*^ Zu S. 10. In meiner Gedächtnissrede auf Johannes 
Muller*) hatte ich es zweifelhaft gelassen, welcher von seinen 
Lehrern auf unseren grossen Physiologen den am meisten be- 
stimmenden Einfluss ausgeübt habe. Ich trage gegenwärtig nach 
meiner genaueren Kenntuiss Walthor^s und im Hinblick auf 
die grosse Theilnahme, welche dieser dem aufblühenden Geschicke 
M ü 1 1 e r * s zuwendete, keine Bedenken, ihm die Ehre zuzusprechen. 
Auch erinnere ich mich, dass der alternde Chirurg, als ich ihn im 
Jahre 1846 in München besuchte, sich mit besonderer Theilnahme 
gerade nach Müller erkundigte, während er von den »Geheimen 
Käthen« in Berlin mit einer gewissen Zurückhaltung sprach. 

»' Zu S. 10. Georg Aug. Bertele (geb. 1767 zu Ingol- 
stadt, gest. 1818), der Sohn des botanischen Gärtners an der 
Universität Ingolstadt, hatte zuerst eine militärärztliche Stellung 
bekleidet, war aber 1792 auf Kosten der Kegierung auf eine 
wissenschaftliche Reise geschickt und hatte zuerst in Würzburg 
bei Pickel Chemie und bei Caspar v. Siebold Chirurgie, 
dann in Freiberg bei Werner, Charpentier u. A. Mineralogie 
siudirt. An der Universität Landshut lehrte er Chemie, Minera- 
logie, Botanik, Zoologie, Pharmakologie, und manches Andere. 
Walt her**) ertheilt ihm dasZeugniss eines eben so gründlichen 
und klaren, als fieissigen Lehrers. „Er fasste," sagt er, „zer- 
streute Thatsachen unter allgemeinen Gesichtspunkten zusammen, 
in welcher Zusammenstellung und höheren Beleuchtung sie in 
jugendlich frischen Gemflthern leichteren Eingang und treuere 
Bewahrung fanden." 



*) Virchow. Gedächtnissrede auf Joh. Müller. Berlin 185S. 
S. 14. 

*♦) Ph. Fr. V. Walther. Rede zum Andenken an Bertele. 
Landshut 1818. 

4* 



52 

Einen besonderen Eiufluss auf Schön] ein scheint auch der 
durch seine naturhistorischen Beisen bekannte Schultes ausgeübt 
zu haben. Schönlein liebte dessen Schriften besonders. Indess 
hat wohl das Privatstudium für die Entwickelung des jungen 
Mannes einen eben so grossen Einfluss gehabt, als die Lehrer. 
Die Schriften Linne's studirte er schon früh, und er behielt 
immer ein grosses Interesse für den bahnbrechenden Naturforscher ; 
die Bamberger Bibliothek hat durch ihn eine zahlreiche, auf 
Linne bezügliche Büchersammlung erhalten. 

Unter den wenigen schriftlichen Nachlasssachen Schönlein 's 
haben sich noch zwei, jedoch wenig beschriebene Foliobände ge- 
funden, von denen der eine Beschreibungen von Mineralien, der 
andere chemische Notizen aus seiner Studienzeit enthält. 

'^ Zu S. 10. Allerdings muss man zugestehen, dass dies 
nicht ein persönliches Verdienst Schön lein's war. Der Stern 
Röschlaub^s war schon im Erbleichen. Die ruhigeren Beobach- 
ter hatten längst ihre Zweifel über seine Eichtung ausgesprochen. 
Hufeland*), der energischste Gegner des Browuianismus und der 
unermüdliche Bekämpfer Böschlaub's, hatte schon 1802 gesagt: 
„Nur der Browuianismus ist wahre Erregungstheorie, d. h. die 
alles aus dem Begriffe von Erregung deducirt; und seitdem man 
dies aufgegeben hat, seitdem Schelling die Phänomene nur nach 
höheren Principien der Naturphilosophie deducirt, und selbst Herr 
Böschlaub, der ebenso, wie einst Brown, nun Schelling 
nachbetet, ohne ihn zu verstehen, die neue Brown'sche Lehre ver- 
lässt, und sich quält, seine vormaligen Sätze in ein naturphiloso- 
phisches Gewand zu zwingen, seitdem existirt auch keine Errc- 
gungstheorie mehr." Aber damals kämpfte Röschlaub noch 
siegreich gegen seine Gegner an. Erst im Jahre 1805 erkannte 
er das Einseitige und Irrthümliche seines Weges, und hüllte sich 
in Schweigen, erfüllt von dem Gedanken, in einer neuen und ver- 
besserten Gestalt in einem grossen Werke seine verjüngte Lehre 
zu veröffentlichen. Aber es wollte nicht recht vorwärts, und so 
entschloss er sich im Jahre 1811, in einem offenen Briefe an 



*) Hufeland. Neues Journal der praktischen Heilkunde. 1802 
Bd. VH. S. 136. 



53 

seinen grossen Gegner Hufeland*) mit anerkennenswerthem 
Freimuthe sich als in den Hauptpunkten der pathologischen An- 
schauung geschlagen zu bekeunen. Gleichzeitig kündigte er seine 
Absicht an, seine neuen Untersuchungen fortzusetzen und später das 
Ganze zu publiciren, aber das Gefühl der Verirrung hat augen- 
scheinlich lähmend' auf seinem Geiste gelastet. Nirgends ist 
diess so deutlich ausgesprochen, als in seiner Vorrede**) zu sei- 
nes Lieblingsschülers Rings eis erster Abhandlung, in welcher 
der Gedanke ausgeführt ist, den Röschlaub schon in dem Briefe 
an Hufeland aussprach, dass nämlich die Lehre Brownes im 
Grunde sich von der des Hippocrates nicht unterscheide. Das 
grosse Werk Röschlaub's aber blieb Manuscript, und wird es 
auch trotz der Wünsche Rings eis' wohl bleiben. 

** Zu S. 11. In diese Zeit muss wohl eine Geschichte fallen, 
welche mir aus glaubwürdiger Quelle mitgetheilt wurde: Als 
Student besuchte Schönlein, wenn er bei seiner Mutter auf 
Ferien war, öfters den Nachbarort Lohndorf, drei Stunden von Bam- 
berg (S. 43). Der damalige Pfarrer, ein Verwandter Schönlein's, 
räumte ihm ein kleines Zimmer (manchmal auch das sogenannte 
Staatszimmer) ein. Eines Tages kommt er unvermüthet hinauf, 
und findet den jungen Forscher unter zerschnittenen Fröschen, 
Eidechsen u. s. f. Natürlich gab es eine Scene und der Besuch 
des Studenten wurde von da an sehr selten. — Ich bemerke hier 
zugleich, dass ausser den von Bach aus der Landshuter und 
Würzburger Zeit aufgeführten Lehrern (Tiedemann, Walther, 
Leveling, Röschlaub, Bertele, Feiler, Schultes, Fuchs, 
Döllinger, Friedreich, Horsch und Marcard) noch aus 
Würzburg zu erwähnen sind Textor, Heller, Pickel (Chemie), 
Ruland (Materia medica), d'Ontrepont (Geburtshülfe) und 
Hesselbach (Chirurgie). 

^ Zu S. 12. Die frühere Geschichte der Würzburger Schule 



*) Hufeland. Journal der praktischen Heilkuifle. 1811. Bd. 
XXXH. Heft I. S. 9. Die interessante Gegenerklärung von Hufe- 
land steht in demselben Bande Heft IL S. 3. Vgl. auch 1837. St L 
S. 33. 

*♦) J. N. Ringsei s. De doctrina Hippocratica et Browniana inter 
se consentiente et mutuo se explente tentamen. Norimb. 1813. p. X. XIX. 



54 

hat Scherer'*') in einer Bectoratsrede actenmässig dargestellt. 
Er erwähnt nnter den ersten und bedeutendsten roedicinischen 
Lehrern jener Zeit Adrianns Bomanus, den Bischof Julius 
1593 von Löwen berief. Wir werden später (Anm. 66.) eine Ab- 
handlung erwähnen, die unter seinem Präsidium vertheidigt wurde. 
^^ Zu S. 12. Im Anfange des Jahrhunderts hatte Döm- 
ling den Lehrstuhl der Physiologie inue, einer der ersten Schu- 
ler Sehe Hing's**), der jedoch ziemlich scharf gegen Bösch- 
laub vorging und die Humoralpathologie in etwas doctrinUrer 
Weise vertrat.***) Walt her ertheilt ihm das Zeugiüss eines 
talentvollen und gedankenreichen Mannes, der nur zu früh ge- 
storben sei. Nach ihm kamen Döllinger und Heusinger, die 
Vertreter einer gesunden, empirischen Bichtung in der Physiologie, 
aber nach der Epuration der Universität folgte Hensler, mit 
dem ich noch in der Würzburger Facultät zusammengesessen habe, 
einer der spätesten und am meisten überzeugungstreuen Vertreter 
des thierischcn Magnetismus f). Er war in den Sitzungen der 
medicinischen Facultät nicht zu bewegen, sich niederzusetzen, weil 
er besorgte, dass aus den, seiner Meinung nach nicht richtig ge- 
arbeiteten Stühlen unangenehme krankhafte Erregungen in seinen 
Körper übergehen möchten. In der allgemeinen Pathologie er- 
wähne ich Spindlerft) lu^d den Collegen Schönlein 's, Carl 
Bich. Hoffmannftt) welche als warnende Beispiele der specu- 
lativen Bichtung angesehen werden können. 

•) Scherer, Abriss einer Geschichte der beiden ersten Jahr- 
hunderte der Universität Würzburg, mit besonderer Hinsicht auf die 
Entwickelung der medicinischen Facultät. Würzburg 1S52. 

**) Eble. Versuch einer pragmatischen Geschichte der Anatomie 
und Physiologie. Wien 183G. S. 87. 

***) J. Jos. Dömling. Giebt es ursprüngliche Krankheiten 
der Safte, welche sind es und welche sind es nicht? Bamberg und 
Würzburg 1800, 

t) Phil. Ign. Hensler. Uober die verschiedenen Arten des 
thierischen Magnetismus. AVürzburg 1833. 

tt) Job. Spindler. Allgemeine Nosologie und Therapie als 
Wissenschaft. Frankfurt a. M. 1810. Ueber das Princip des Men- 
schen - Magnetismns. Nürnberg 1811. 

Itt) Karl Bichard Hoff mann. Vergleichende Idralpatho- 
logie. Ein Versuch, die Krankheiten als Bückfälle der Idee des 
Lebens auf tiefere nonnale Lebensstufen darzustellen. Stuttg. 1839. 



65 

''-* Zu S. 14. Ignaz Döllinger, diese Zierde der deutschen 
Wissenschaft, wurde am 24. Mai 1770 zu Bamberg geboren. Er 
war der Sohn des schon früher (S. 45) erwähnten fürstbischöflichen 
Leibarztes und Professors DöUinger, den Marcus verdrängte. 
Nachdem er Kantische Philosophie eifrig getrieben hatte, begann 
er sein medicinisches Studium in Bamberg und setzte es 1789 — 
1793, auf das Freigebigste von Franz Ludwig unterstützt, in 
Würzburg, Pavia und Wien fort. Er hörte Siebold, Pickel, 
Thomann, Barth, Prochasca, vor Allen aber Peter 
Frank inid Scarpa in Pavia, wo sich damals die lernbegierige 
Jugend sammelte. Gerade in dem Jahre, in welchem Schönlein 
geboren ward, kehrte DöUinger nach Bamberg zurück, wurde 
im nächsten zum Doctor promovirt und alsbald auch zum Pro- 
fessor und nach Köschlaub*s Berufung nach Landshut zum 
zweiten ordinirenden Arzte am Krankenhause ernannt. Als solcher 
blieb er 9 Jahre in Thätigkeit bis zur Aufhebung der Universität, trat 
aber sofort 1803 nach der Reorganisation der Würzburger Universität 
als Ordinarius bei dieser ein. Walt her*) sagt von ihm: „Döllin- 
ge r wurde der Stifter und Begründer der neuen anatomisch-physiolo- 
gischen Schule in Würzburg, welche so Grosses und Herrliches ge- 
leistet hat und ganz im Einklänge mit den unterdessen eingetretenen 
Fortachritten der Naturwissenschaften und mit den auf diese ge- 
gründeten gerechten Forderungen der Zeit stand. Dies war nun 
seine eigentliche Glanzperiode, jene seiner geistigen Keife, seiner 
grössten Thätigkeit und erfolgreichen Wirksamkeit. DöUinger 's 
Schule wurde der Mittelpunkt des ganzen medicinischen Studii in 
Würzburg, von welchem alle wissenschaftlichen Betrachtungen der 
Studireuden ausgingen und auf welche sie sich wieder zurückbe- 
zogen. Er wusste seine Zuhörer für anatomisch - physiologische 
Forschungen wahrhaft zu begeistern, so dass sie in diesen ganz 
lebten, nicht nur in, sondern auch ausser der Schule, und dass 
sie dieselben zu dem vorherrschenden Gegenstande auch ihrer 
socialen Unterhaltungen und Discussionen machten. Die Zahl seiner 
Schüler war ungemein gross: Studirende aus allen Theilen des 
sudlirlien und nördlichen Deutschland, aus Polen, Curland, Lief- 
laiHl und anderen Gegenden des russischen Reiches, aus Griechen- 



♦) Ph. Fr. V. Walther. Rede zum Andenken an DöUinger. 
München 1841. S. 38. 



56 

land strOmten in grosserer Menge herbei, ai 
linger's Schule, von den klinischen Anstall 
von der nnter der Köntgl. Bayrischen Begiei 
Gebäranstalt nnd von den dabei angestellten 
Aber Dailinger war auch ein Lehrer von j 
Wissen. Seine erste Dmckecbrifl war eine i 
die Metamorphose der Erd- und Steinarten 
(1803); noch in Wßnbnrg las er Experimenta]- 
leitete botanische Eicursionen, hielt Collcg 
nnd Therapie. Eist nach nnd nach zcg er si 
Physiologie zurfick. Er war es banptsächltch 
des Mikroskopes ftlr die feinere anatomiscl 
Deutschland einbürgerte; von ibra erz&hlt ma 
er einem jungen Modiciner, der ihn wegen 
Bibliothek um Bath fragte, Torschlug, sich ei 
erwerben , nnd wenn ihm dann noch Geld bl 
za kanfen. Aber tot Allem war er es, wel 
Methode der Untersnchnng, einen neuen V 
Forschung lehrte. Es war der Weg, den zn( 
zeichnet hatte, der Weg der „entwickelnden, er 
der in der Lehre von der Metamorphose der 
Wirbelthoorie seinen ersten Gewinn brachte. Tl 
ist es gewesen, der auch für Döllinger derS 
der Naturphilosophie ward, in denen er eine 7a 
seine Zeitgenossen, gewandelt hatte**). Walt); 
Verhältniss folgendermaassen : „DOllinger 
trockensten Theil der Anatomie, die Osteologi 
die geistreiche Art, wie or sie behandelte, ihr 
abschreckendos Studium anziehend eu mach€ 
Beingerippe Leben und Bewegung oinzuhauch 
Aber Morphologie hatte or in ihrer tiefcrei 
faKst, und indem er von der Wirbelsäule all 
ganzen Kuocbenbildung bei den Wirbeltliierei 
er sehr anziehend ihre blattförmige Entwickelt 
in den Schädel- und Beckenknocben , sowie 



*) Virchow. Giiibe als Nnlnrfi.rerhPr. B 
") Ehie, a. a. O. S. ilS. 
"•) Wallher. Hede auf Düllinger. S. 39. 



57 

Verzweigung des Knochenstammes in den Röhrenknochen der aus 
der Wirbelsäule hervorwachsenden Extremitäten." Nun verband 
er sich mit d' Alton, der durch vieljährigen näheren Umgang 
mit Göthe in dessen Ideen eingeweiht war, zu neuen Forschungen 
in der Entwickelungsgeschichte*). Zu ihnen traten zwei junge 
Studirendo, Pander und Carl v. Bär, von denen der letztere 
freilich Würzburg vor dem Abschlüsse dieser Untersuchungen 
verliess. Die drei anderen aber führten dieselben auf das Eifrigste 
fort; zahllose Brütversuche wurden angestellt, so dass auf dem 
Markte zu Würzburg der Preis der Hühnereier stieg, und dass 
endlich die ganze Bevölkerung mit dem regsten Antheil das neue 
Beginnen verfolgte. Dies war im Jalire 1816, demselben, in wel- 
chem Schönlein seine Inauguralabhandlung veröfifentlichte. Die 
Vorrede dazu trägt das Datum: Bamberg, im Dec. 1815; sie 
legt Zeugniss dafür ab, dass nicht etwa Pander, der cndlicli die 
Resultate der gemeinschaftlich mit Döllinger und d' Alton an- 
gestellten Untersuchungen publicirte, das Verdienst der Urheber- 
schafthatte. Schönlein selbst weist dankbar auf Tiedemann 
und Döllinger zurück, und von letzterem rühmt er insbesondere, 
dass er ihm „mit seltener Freigebigkeit aus seiner Sammlung 
eine grosse Menge von Säugethier - Embr}'onen" überliess. 
Pander kam erst 1816 nach Würzburg. Döllinger hatte 
damals eine zoologisch - physiologische Gesellschaft gestiftet, 
in welcher „unter seiner Leitung nach den von ihm angegebenen 
Ideen und in der von ihm festgehaltenen Richtung tüchtig gear- 
beitet wurde"**), und es kann wohl kaum zweifelhaft sein, dass auch 
schön lein derselben nicht fem stand. Walt her***) sagt von 
jhm: „Der geniale Schönlein, welcher'zuerst noch D Olli ngei's 
Schüler, alsdann längere Zeit hindurch sein von ihm sehr hoch- 
geachteter College war, hat ohne Zweifel zur Begründung seines 
geistvollen, zunächst auf die Physiologie und durch sie auf die 
gesammto Naturwissenschaft gegründeten Systems der Heilkunde 
auch in Döllinger*s Schule Anregungen und belebende Impulse 
erhalten." Ausdrücklich sagt er : „auch in Döllinger's Schule," 
denn er wusste es wohl, dass er sie auch in seiner eigenen, des 



*) H. Meyer. Archiv f. physiol Heilkunde. Bd. III. S. 48. 
**) Walther a. a. 0. S. 60. 
♦*♦) Ebendas. S. 40. 



58 

grossen Walt her Schule erhalten hatte. Döllinger's Ruhm 
wuchs damals schnell. 1816 wurde er unter dem Namen Eu sta- 
ch ins als Mitglied der Leopoldinisch-Carulinischen Akademie auf- 
genommen*) und bald zum Adjuncten ernannt; 1819 wurde er 
Mitglied der Münchener Akademie und als solches endlich 1823 
nach München berufen , wo er 1841 nach langer, reicher Thätig- 
keit starb. 

'^3 Zu S. 15. Die Kritik ist auch gegen diese Arbeit sehr herb 
gewesen. Burdach**) beginnt seine Darstellung ihres Inhaltes 
mit folgenden Worten: „Schönlein's jugendliche Arbeit stellt 
seltsame Einfalle mit Zuversichtlich keit als Naturanschauung auf, 
namentlich ist in der Bildungsgeschichte hier nicht die Bede von 
einer harmonischen Entwickelung, wo das einzelne Glied schon 
vermöge seines Begriffs, mit dem übrigen übereinstimmt und jedes 
das wird, was es seiner Wesenheit nach werden soll: sondern du 
ist ein Krieg Aller gegen Alle, Eins drängt das Andere, Nichts 
ist an seinem eigentlichen Platze; auf Umri>llung, Einschlagung, 
Zusammenfaltung des Einen durch das Andere geht fast die ganze 
Bildungsgeschichte hinaus.'^ Dieses Urthoil bezieht sich mehr auf 
die lebendige, ich mochte sagen, personifidrende Sprache des 
jungen Mannes, als auf die Sache. Denn sachlich findet sich 
nichts, was dem Gedanken der Gesetzmässigkeit und des typischen 
Fortschreitens in der Entwickelung des Gehirns und des Nerven- 
systems überhaupt widerspräche; im Gegentheil geht die Darstel- 
lung überall darauf hinaus, diese Gesetzmässigkeit durch die 
ganze Reihe der Thiere hindurch thatsächlich zu zeigen. Ori- 
ginalität in den Thatsachen selbst ist allerdings nur an wenigen 
Stellen nachweisbar; dafür ist aber die Vollständigkeit in der Be- 
nutzung des literarischen Materials um so mehr anerkennenswerth, 
als gleiclizeitig die eigene Prüfung des Werthes dieses Mate- 
rials unzweifelhaft hervorleuchtet. Schon die beiden Kupfertafeln, 
deren Originale von liesselbach gezoichnet sind, beweisen diess 
in augenfälliger Weise; sie geben, die eine in voller Zeichnung, 



* Ich darf hier wohl erwähnen, dass im Jahre 18ö2, bei Gelegen- 
heit ihrer Säcularfeier, die Akademie mich unter dem Namen Dollin- 
ger zu ihrem Mitgliede ernannte. 

**) C. F. Burda eh. Vom Baue und Leben des Gehirns. 
Leipzig 1822. Bd. II. S. 240. 



59 

die Andere in linearem Schema, die Abbildungen des Gehirns von einem 
Smonatlichen menschlichen Embryo, der Kleinhirnregion vom Schafe 
des (lehims einer Gans, und der Kleinhirnregion \oji\ Kindsembryo. 
Aber der Vorwurf Burdach's ist noch in einer anderen Weise un- 
begründet. Mit Becht geht Schönlein nicht einfach darauf hin- 
aas, den Typus der Entwickclung festzustellen, sondern ihm 
schwebt der höhere Gedanke vor, aus dem Verhältniss der sich 
entwickelnden einzelnen Theile zu einander auch den Grund des 
in den einzelnen Klassen und Arten der Thiere sich anders dar- 
stellenden Typns zu finden. Ihm genügt die naturphilosophische 
„Idee des Organismus** nicht mehr; er ist nicht zufrieden damit, 
„dass jedes das wird, was es seiner Wesenheit nach werden s o 1 1.'* 
Im Gegentheil, er findet, dass nicht jedes das wird, was es seiner 
Anlage nach werden kann, und er sucht durch die genetische Stu- 
feoreihe der verschiedenen Thiergehirne zu zeigen, wie die stärkere 
Entwickelnng einzelner Theile andere hindert, ihrerseits dieselbe 
stärkere Entwickelnng zu machen oder auch nur die gewohnliche 
Entwickelung zu erreichen. Dass er es nicht erreicht hat, diese 
gegenseitige Beeinflussung der einzelnen Tiieile auf einander klar 
zu legen, war zu erwarten, aber dass er überhaupt den Versucli 
gewagt hat, ist gewiss in hohem Maasse anzuerkennen. — Die 
Promotion geschah übrigens unter dem Präsidium des damaligen 
Dekans, Professor Heller. Opponenten waren die Professoren 
Döllinger und Hör seh, sowie der Candidat der Medicin Heller. 
*'* Zu S. 15. Diese Periode ist schwer aufzuklaren. Dach sagt 
darüber: „Noch im Jahre 1816 machte der junge Doktor eine 
Reise, die ihn über Jena und Berlin nach Göttingen führte, und 
kehrte dann in das Elternhaus nach Bamberg zurück. Hier führte 
ihn der als Arzt und Gelehrte rühmlich bekannte Dr. Pfeufer, 
der damalige Direktor des dortigen grossen und wolileingerichteten 
Krankenhauses, in die Praxis ein." Dies mag im Grossen richtig sein, 
im Einzelnen ist es jedenfalls unrichtig. Wir haben schon gesehen, 
dass die Vorrede seiner Dissertation aus Bamberg, vom 15. Dec. 1815, 
datirt ist. Wahrscheinlich war er zu Weihnachten zu Hause und kehrte 
dann zu der Promotion nach Würzburg zurück. Von dort ist er 
offenbar zuerst nach Göttingen gegangen, vor Allem um Blumen- 
bach kennen zu lernen. Wir erfahren Einiges darüber aus dem 
Briefwechsel zwischen dem berühmten Philologen Jacobs in 
Gotha und dem schon erwähnten (S. 41) Vetter Schönlein\s, 



60 

Göller, mit dem er schon als Student in Landshut in ununter- 
brochener schriftlicher Verbindung stand. Göller schreibt von 
Banrberg am 31. August 1816 an Jacobs: ^Ich kann meinem 
Freunde und nächsten Anverwandten, Dr. Schönlein, das Ver- 
gnügen und die Freude nicht versagen, Sie in Gotha zu sehen und 
kennen zu lernen, welche Stadt er auf seiner Reise von Göttingen 
nach Berlin durchwandert. Er ist also der Ueberbringer dieses 
Schreibens." Weiter fährt er fort: „Mein Vetter hat sich in den 
Naturwissenschaften und der Anatomie nicht gemeine Kenntnisse 
erworben, und ich bin überzeugt, dass es Ihnen nicht unangenehm 
sein wird, ei^en jungen Mann in seinem besten Aufstreben nach 
wissenschaftlicher Bildung kennen zu lernen. Er wird sich das 
Vergnügen machen, Ihnen die Probeschrift, welche er in Würz- 
burg vertheidigt, vorzulegen." Darauf erwidert Jacobs d. d. Gotha, 
25. Oct. 1816: „An Ihrem Landsmanne, Hrn. Dr. Schön lein, habe 
ich eine angenehme Bekanntschaft gemacht. Er hat sich ziem- 
lich lange, weil es ihm hier gefiel, bei uns aufgehalten, und ist 
nun nach Jena gegangen, wo er mit meinem zweiten Sohne zu- 
sammentreffen wird. Mein ältester Sohn hat im September Würz- 
bnrg verlassen und ist jetzt in München, um von da nach Wien 
zu gehen, um die dortigen medicinischen Anstalten zu benutzen"*). 
Aus diesem Briefe geht bestimmt hervor, dass Schön lein zuerst 
nach Göttingen und von da nach Jona ging, wo damals Oken 
und die naturphilosophische Schule, namentlich Kies er in höchster 
Anerkennung standen. Wahrscheinlich datiren auch aus dieser 
Zeit die Beziehungen zu Stark. Die ursprünglich projectirte 
Weiterreise nach Berlin unterblieb aber wohl, wenigstens habe ich 
keine weiteren Spuren davon auffinden können. Ebensowenig war 
Schönlein, wie manche angenommen haben, in Tübingen. Viel- 
mehr kehrte er noch 1816 nach Bamberg zurück, wo eben der alte 
Marcus gestorben war und Pfeufor die Leitung des Allgemeinen 
Krankenhauses übernommen hatte. 

Auch über einen Besuch in Wien kann ich für diese Periode 
nichts finden. Ich erwähne jedoch schon hier, dass nach der 
Angabc von Richter**) Schön lein's erste Anwesenheit in Wien 



♦) Fr. Jacobs. Vermischte Schriften. Bd. IX. S. 141, 146. 

*♦) C. A, W. Richter. Dr. Schönlein und sein Verhältniss zur 
neueren Heilkunde. Berlin 1843. S. 15. 



61 

in die Zeit fiel, wo Wagner dort die pathologische Anatomie 
vertrat und Rokitansky dessen Assistent und Prosector war. 
Derselbe Gewährsmann berichtet auch, dass Wagner hinfort in 
einem sehr engen Freundschaftsverhältnisse zu Schonlein blieb 
und dessen Lehre und Ansichten theils aus dem Umgange, theils 
aus gut redigirten Collegienheften , die ihm aus Würzburg be- 
sorgt wurden, fast zuerst und am genauesten von allen deutschen 
Gelehrten kennen und schätzen lernte. Richter leitet desshalb 
den Aufschwung der pathologisch-anatomischen Schule in Wien 
geradezu von der Würzburger ab. Jedenfalls möchte darnach die 
erste Anwesenheit Schönlein 's in Wien in die 20cr Jahre fallen. 

** Zu S. 16. Ich gebe diese Notizen, sowie einige spätere 
nach einem Hefte, welches ich selbst in Schönleiu*s Vorlesun- 
gen 1841—42 nachgeschrieben und so sorgsam als möglich ge- 
führt habe. 

^ Zu S. 17. An dieser Stelle ist es wohl gerechtfertigt, die 
Namen der Assistenten Schönlei n*s am Juliusspital in chrono- 
logischer Reihenfolge zu geben. Es waren folgende: 

1) Carl Weikard von Gersfeld, 

2) Carl Fr. Marcus von Bamberg, 

3) Carl Medicus von Königshofen, 

4) Joh. Bapt. Herz von Würzburg, 

5) Conr. Heinrich Fuchs von Bamberg, 

6) Friedr. Mosthaff von Würzburg, 

7) Carl Pfeufer von Bamberg, 

8) Erh. Schauer von Bamberg, 

9) Bernh. Mohr von Würzburg. 

Von diesen sind Marcus, der Nachfolger Schönlein 's in 
der Würzburger Professur, Fuchs und Pfeufer als Kliniker wohl- 
bekannt; Mohr war später Professor der pathologischen Anatomie 
in Würzburg und mein unmittelbarer Vorgänger. Herz nnd Most- 
haff wurden thätige, geschätzte Aerzte in Würzburg und München; 
ersterer ist eben während des Druckes dieser Bogen gestorben. 
Schauer starb früh als praktischer Ai-zt in Bamberg. Von 
ihm ist die Schrift »lieber den Zusammenhang der Katarrhe, 
Rheumatismen und der acuten Exantheme. Würzburg 1830«, 
welche, wie die Inaugural-Abhandlung von Herz ȟber Friesel 
und dessen Behandlung. Würzb. 1827«, werthvolle Einblicke in 
die damalige klinische Auffassung Schönlein*s gestattet. 



62 

Die Bamberger Bibliothek besitzt das klinische Diarium, 800 
bis 900 Blätter in gross Folio stark , in welchem Schönleiu mit 
eigener Hand alle von ihm in der Klinik vom Mai 1819 bis 
Decbr. 1829 behandelten Kranken, nach Namen, Stand, Alter, 
Krankheit, Ein- und Austritt, ob geheilt, gebessert, gestorben u. s w. 
eingezeichnet hat. Es ist eine bloss tabellarische Zusammenstel- 
lung, deren Ausdehnung sich leicht ergibt, wenn man erwägt, dass 
jede Seite 33 Linien enthält. 

Diesem Diarium ist das Diplom beigefügt, durch welches die 
philosophische Facultät in Würzburg am 26. Jan. 1826 (unter 
dem Rektorat Döllinger*s) Schönlein zum Ehrendoktor er- 
nannt hatte. 

*■' Zu S. 18. Wenn ich auch den Namen Rudolf Wagner *s 
mit aufführe, so geschieht es, weil er wenigstens im Anfange 
streng zu der naturhistorischen Schule gehörte. Das beweist seine 
Inäugural- Abhandlung: »Die weltgeschichtliche Entwickelung der 
epidemischen und contagiösen Krankheiten und die Gesetze ihrer 
Verbreitung. Würzb. 1826.** — Ich bemerke hier, dass eine recht 
lebendige Schilderung des Zustandes in der Würzburger Klinik 
im Jahre 1826 von Siebert*) uns geblieben ist. 

^ Zu S. 18. Die im Text angezogene Stelle ist entnommen 
aus einem Nachrufe, welchen Hr. Dr. Philipp in Berlin im Sep- 
tember 1835 in der Vossischen Zeitung seinem todtgeglaubteu 
Lehrer gewidmet hatte. Als Hr. Philipp, nachdem sich die 
Nachricht kurz darauf als falsch herausgestellt, selbst den Nach- 
ruf an Schönlein schickte, schrieb dieser zurück: „Ihre Zuschrift 
vom 9. Sept. hat mir um so mehr Freude gemacht, als sie mir 
den Beweis liefert, dass ich wenigstens im Andenken einiger 
meiner Zuhörer fortleben werde." 

Die Todesnachricht war damals sehr verbreitet. Schön lein 
war eben von seiner englischen Reise (S. 30) zurückgekehrt und 
hfttte von Bern ans , wo er längere Zeit verweilte , gemeldet, 
dass er zwischem dem 25. und 27. August in Zürich eintreffen 
würde, wohin seine Mutter, seine Frau und seine zwei Kinder 
doch bald kommen möchten. Diese reisten am 31. August von 
Würzburg ab. An demselben Tage meldete das Frankfurter Journal 



A. Sichert Schönlein's Klinik und deren Gegner. Erlangen 1843. 
S. 21—24. 



63 

seinen Tod in Folge eines Schlagflusses, und obwohl schon am 
1. Sept. die Würzburger Zeitung die Widerlegung brachte, dass er 
unter dem 30. Aug. eigenhändig dorthin geschrieben habe, so lief 
doch die Nachricht weiter. Es existirt noch ein Brief Schön- 
lein 's an den Bibliothekar Jack in Bamberg vom 5. Sept., welcher 
lautet: „So eben erfahre ich durch die Allgemeine Zeitung, dass 
ich gestorben bin. Um Ihnen die vorläufig vergebliche Mühe 
eines Nekrologes zu jersparen, erhalten Sie diess Lebenszeichen 
von Ihrem lebenden und lebenslustigen Schön lein." An densel- 
ben schrieb er unter dem 16. Oct. 1837: „Unter der letzten Sen- 
dung finden Sie auch einige Nummern der homöopathischen Zei- 
tung aus Allentown in Nordamerika, die ich Ihnen darum mit- 
theile, weil Sie darin eine ausführliche Beschreibung meiner Tod- 
tonfeier mit einer französischen Leichenrede finden können. Das 
Pikante am ganzen Spass ist aber dieses, dass die Beileidsbezeu- 
gung von einer homöopathischen Gesellschaft ausging." 

''® Zu S. 19. Es mag hier genügen, auf das Urtheil eines 
der schärfsten Gegner hinzuweisen. Wunderlich*), damals in 
ofl'ener Opposition gegen Schönlein stehend, sagt in einer Kri- 
tik der klinischen Vorträge desselben: „Schönlein, Anten - 
rieth's Schüler und Nachfolger dem Geiste nach, verstand es, 
die deutsche Wissenschaft mit dem seitherigen Gewinne des Aus- 
landes auszustatten und das Eigene mit dem Fremden zu ergänzen. 
Auscultation und pathologische Anatomie fanden Aufnahme in 
seiner Klinik, und seine Nosologie wurde auf die materiellen Ver- 
änderungen in Krankheiten, auf die positiven, nachweisbaren, ana- 
tomischen Läsionen basirt. Der Zug der neueren Zeit nach objec- 
tiver Thatsächlichkeit, nach materieller Bestimmtheit wurde in 
Deutschland zuerst von ihm klar verstanden und die klinische 
Procedur hienach geändert. — So hat Schönlein jene Positivi- 
tät, die bei unsem Nachbarn bereite Allgemeingut war, nach 
Deutschland verpflanzt. Alles, was Sinn für sie hatte, strömte 
zu seiner Würzburger Klinik, in der nicht nur docirt und ordinirt 
wurde , wie anderorts , sondern in der man die Sinne gebrauchen, 
concreto Fälle beobachten und die Erscheinungen auf die mate- 
riellen Störungen zurückführen lernte. So wurde bei ihm eine 
Generation von praktischen Aerzten gebildet, die in wenigen Jah- 



^) Wunderlich. Archiv für physiol. Heilk. 1843. Bd. II. S. 292. 



64 

ren mehr Erfahrung davou trugen, als die alten Dynamiker in 
einer öOjfthrigen Praxis. Seine Krankheitsschilderungen ver- 
dankten derselben Tendenz ihre gerühmte und seither bei uns 
nicht gekannte Bundung und Schärfe; und wenn dem ganzen 
Manne immerhin noch ein naturphilosophischer Beigeschmack aus der 
Würzburger und Jenenser Schule adhärirte, so übersah man dies 
gern als unwesentlich, oder nahm es gar als geistreiche, eigen- 
thümlich deutsche Arabesken um den prosaischen Text, mit Wohl- 
gefidlen auf. Die BückfÜhmng zu den Thatsachen war das Ver- 
dienst Ton SchOnlein, dies der Gewinn seiner Klinik und seiner 
Schnle, die aber bald anfing, ebenso um des Zaubers ihrer Be- 
rühmtheit, als um ihrer wirklichen Vorzüge wegen gesucht und 
erhoben zu werden." — Pfeufer*), der frühere Assistent 
Schönlein*s und sein Nachfolger auf dem Züricher Lehrstuhl, 
sagt Ton ihm: „Als SchOnlein an die Bearbeitung der Patho- 
logie ging, fand er die Entzündungstheorie als einen sehr aUge- 
mein angenommenen Erklftrungsgrund der verschiedensten patho- 
logischen Vorgänge vor. Seine Mission war also, die Unterschiede 
der Krankheitsprocesse nachzuweisen, eine Mission, welche er, be- 
sonders auf Autenrieth gestützt, nicht nur erfQllt, sondern 
auch, der Energie seines Geistes entsprechend, als eine siegreiche 
Waffe gegenüber philisterhaften und unter gelehrtem Plunder ver- 
gebens den Mangel des inneren Lebens verbergenden Anmassun- 
gen gebraucht hat. Schönlein, der die Schwierigkeit seiner 
Aufgabe am besten kannte, istr es niemals eingefallen, die Aus- 
führung derselben für eine in allen Theilen vollendete zu halten, 
ja vielleicht hielt er diese Vollendung nicht einmal für nothweu- 
dig und widerstand deshalb den vielfachen, von entgegengesetzen 
Seiten ergangenen Aufforderungen. Das, was Schönlein mit 
seinem System erreichen konnte, hat er bereits in vollem Maasse 
erreicht, und nicht er trägt die Schuld, wenn die Schaumblasen 
seines Geistes, welche sich bei jedem bedeutenden Gährungsprocess 
bilden, von blinden Anhängern und von gehässigen Gegnern als 
Früchte, an welchen man ihn erkennen möge, herumgeboten 
werden. Nicht zu seinen kleinsten Verdiensten gehört die Grün- 
dung einer klinischen Schule zn einer Zeit, wo man kaum mehr 
den Namen davon besass." 



*) G. Pfeufer. Zeitschr. für rationelle Medicin. 1844. Bd.L S. 54. 



65 

^ Zu S. 21. Soviel mir bekannt geworden ist, sammelte 
Schönlein von Naturgegenstanden hauptsächlich paläonto- 
logische Sachen. Hr. Prof. Alexander Braun theilt mir 
mit, dass er schon bei einem. Besuche in Würzburg Schönlein 
im Besitze einer Sammlung fossiler Pflanzen aus der dortigen 
Keuperformation fand, deren interessanteste Stücke er (von Hohe) 
hatte abbilden lassen. Einen Theil dieser Sammlung, vielleicht 
auch die ganze, hat er später dem mineralogischen Museum der 
Berliner Universität geschenkt Die Abbildungen überliess er zu 
wissenschaftlichem Gebrauche dem Grafen Kaspar Sternberg, 
in dessen Flora der Vorwelt*) mehrere derselben benutzt sind. Es 
findet sich dort ein Equisestites Schönleinii Sternb. , ein giganti- 
scher Schachtelhalm, von dem Schön lein schon 1829 auf der 
Naturforscher -Versammlung in Heidelberg Abbildungen verthoilte; 
zwei, nach ihm gehörigen Exemplaren beschriebene Famkräuter, 
Crepidopteris Schoenleinii Presl. und Taeniopteris Schönleinii von 
Ettingshausen gehören nach Schenk zu der schon früher be- 
schriebenen Taeniopteris marantacea Brongn. (Thaumatopteris ma- 
rantacea Schenk). Späterhin überliess Schönlein diese Abbil- 
dungen bereitwilligst Hm. Prof. Schenk in Würzburg für seine 
Untersuchungen über die fossile Flora des Eeupers, obwohl er, 
wie dieser mittheilt, in den letzten Jahren seines Lebens sich mit 
dem Gedanken tmg, sie zu veröffentlichen. Hr. Schenk ist 
gegenwärtig da,mit beschäftigt, die Tafeln herauszugeben und den 
fehlenden Text hinzuzufügen. Handschriftliches, auf sie bezüg- 
liches hat sich ausser einigen fragmentarischen Notizen, welche 
wahrscheinlich während seines Aufenthalts in Zürich geschrieben 
worden sind, nicht gefunden. Nach dem Berichte des Herrn 
Schenk handelt es sich um 13, vorzüglich ausgeführte Tafeln, 
von denen er sagt, dass sie eine wesentliche Lücke in der Literatur 
über die Keuperpflanzen ausfallen werden; ja man könne wohl 
ohne Bedenken behaupten, sie seien die ersten genaueren Abbil- 
dungen, welche eine grössere Anzahl von Pflanzen dieser Forma- 
tion zur Anschauung bringen. 

Im Berliner Museum finden sich noch einige andere Ge- 



*) Graf Kaspar Sternberg. Versuch einer geognostisch-bo- 
tanischen Darstellung der Flora der Vorwelt Prag 1838. S. 46, 119. 

5 



66 

schenke von ScIiOnlein, namentlich einige interci^sante Stücke 
aus dem tertiären Braunkohlenlager der Gegend von Zürich. 

Nächst der paläontologischen Sammlung ^ar seine patholo- 
gisch-anatomische von grosserer Bedeutung. Einzelnes fand 
ich noch in Würzburg vor, als ich es 1849—50 unternahm die seit 
vielen Jahren nicht geordneten Schätze der dortigen Sammlung syste- 
matisch zusammenzustellen. Das Meiste ist aber mit nach Zürich 
gewandert, wo es als Grundstock des neu zu gründenden Mu- 
seums aufgestellt wurde, und wo es sich noch jetzt befindet. Nach 
einem Berichte des Hm. Prof Rindfleisch befinden sich darun- 
ter besonders seltene Gallen- und Harnsteine, Aneurysmen und 
Präparate von Darmkrankheiten, sowie eine Zusammenstellung von 
40 verschiedenen Schädeln. Letztere hat er, soweit ich ander- 
weitig weiss, zum Theil in der Schweiz selbst, aus alten Bein- 
häüsem gesammelt. Maassgebend waren dabei offenbar Rücksich- 
ten auf das Studium des Cretinismus, wie ich schon an einem 
andern Orte*) ausgeführt habe. Untersuchungen der Art waren 
bereits in Franken, namentlich in dem Beinhause von Jphofen be- 
gonnen; ein Paar, später von Stahl**) beschriebene Cretinen- 
schädel von daher befinden sich gegenwärtig in der Züricher 
Sammlung. Das beste Zeugniss für die Würzburger Zeit liefern 
die Abhandlungen von Sens bürg undHerm. Demme***); letzte- 
rer, später Professor der Chirurgie in Bern, machte 1829—30 auf 
Schön le in *s Veranlassung die Leichenöffnungen des Juliusspitals 
in Wünsburg. In der Schweiz erhielten diese Forschungen be- 
greiflicherweise einen neuen Anreiz und es ist wohl nicht zu be- 
zweifeln, dass auch die Bestrebungen von Guggenbühl dadurch 
einen gewissen Anstoss erhalten haben. 

Ob Schönl ein ausser den paläontologischen und pathologisch- 

*) Yirchow. Gesammelte Abhandlungen zur wissenschaftlichen 
Medicin. Frankf. 1856. S. 893. 

*♦) F. C. Stahl. Neue Beiträge zur Physiognomik und patholo- 
gischen Anatomie der Idiotia endomica, genannt Cretinismus. Erlangen 
1848. S. 35—38. 

***) Sensburg. Der Cretinismus, mit besonderer Kücksicht auf 
dessen Erscheinung im Untermain- und Rezat-Kreise des Königreichs 
Bayern. Inaug-Abh. Würzb. 1825. S. 38 Anm. — H. Demme. Ucber 
ungleiche Grösse beider Himhälften. Path.-anat. Inauguralschrift. 
Würzb. 1831. S. 19. Anm. 7. 



67 

anatomischen noch anderweitige naturwissenschaftliche Sammlun- 
gen für sich angelegt hat, weiss ich nicht. Nur das steht fest, 
dass er namentlich zoologisches Material aus fernen Weltthei- 
len, zum Theil mit erheblichen Kosten, herbeischaffte. Wie er in 
dieser Beziehung für die naturhistorischen Sammlungen in Bam- 
berg sorgte, wird aus einigen, später (Anm. 49) mitzutheilenden 
Briefen hervorgehen. Hier will ich nur erwähnen, dass er viel- 
fach junge Männer, welche Reisen in ferne Welttheile unternahmen, 
unterstützte, um durch sie neue Naturgegenstände herbeischafifen 
zu lassen. So berichtet Erichson*)ȟber eine Sammlung von 
Insekten aus Angola, welche Schönlein dem Berliner entomolo- 
gischen Museum geschenkt hat Dieselbe war von Ed. Gross- 
bendtner zusammengebracht, der, vorzüglich durch Schönleiu's 
Unterstützungen in den Stand gesetzt, eine portugiesische Handels- 
expedition begleitete, dabei aber früh seinen Tod fand. 

3* Zu S. 22. Der Ausdruck „Krankheitsprocess" stammt aus 
der Zeit des Ueberganges von der naturphilosophischen zu der na- 
turhistorischen Schule. In der Literatur tritt derselbe in aller 
Klarheit und Schärfe zuerst bei Stark **) auf, den mau öfters zur 
Schönlein^schen Schule gerechnet hat, während er doch schon 
seit 1815 in Jena Vorlesungen über Pathologie gehalten hat, in 
denen, wie er selbst sagt, „er der naturhistorischen Bedeutung 
des Krankheitsprocesses Geltung zu verschaffen suchte"***). Aller- 
dings hat er später in einem sehr nahen Yerhältniss zu Jahn, 
der entschieden zu Schönlein's Schülern gehörte, gestanden, 
aber ihm selbst kann man das Verdienst nicht absprechen, dass 
er einen grossen Theil der Anschauungen, welche in der natur- 
historischen Schule und in der allgemein-pathologischen Doctrin 
Schönlein's selbst praktische Gestalt annahmen, unabhängig aus- 
gebildet hat. Ich habe wenigstens immer beim Lesen seiner Schrif- 
ten die Vorstellung gewonnen , dass manche eigenthümliche Auf- 
fassung, die unter der Firma der Würzburger Schule geht, ihm zu- 
zuschreiben ist (vgl. S. 19, 60). 



*) W. F. Erich 8 ou. Wiegmann's Archiv für Naturgeschichte. 
1843. Bd. IX. S. 201. 

**) Karl Wilh. Stark. Pathologische Fragmente. Weimarl824. 

♦*♦) K. W. Stark. Allgemeine Pathologie oder allgemeine Natur- 
Ichre der Krankheit. Zweite Aufl. Lcipz. 1844. Vorrede. 



68 

^ Zu S. 22. Diese Eigenthümlichkeit hat am schärfsten 
Fuchs, der Liebliugsschöler Schönlein's, bezeichnet. Auf der 
Naturforscherversammlung zu Braunschweig (1841) hatte Häser*) 
einen Vortrag über die parasitische Bedeutung der Krankheit und 
über die Beziehung dieses Begriffes zu den Tendenzen der soge- 
nannten naturhistorischen Schule gehalten. Nach dem Schlüsse 
desselben bemerkte Fuchs: die Bezeichnung ,,naturhiston8che 
Schule'' müsse in so fem als in-ig gelten, als durchaus nicht 
von irgend einer Systematik, am wenigsten aber von einer exciu- 
siven Schulansicht die Rede sei. Es gelte vielmehr, für den ge- 
genwärtigen Augenblick der naturhistorischen Methode in der 
Medicin dieselbe Anwendung, als in den übrigen Naturwissen- 
schaften zu verschaffen. 

^ Zu S. 22 Einer der ergebensten Schüler Schönlein's, 
der nachmalige Professor in Jena, Siebert**) äussert sich über 
diese Veröffentlichungen folgendermassen : „Wer Schönlein's 
Lehren kennen lernen will, der lese die von einigen Studenten 
herausgegebene Pathologie und Therapie nicht. Es erschienen 
zwar zu Würzburg bei Etlinger 1831 und 1832 zwei Auflagen, 
sodann Nachdrücke von dem Nachdruck bei verschiedenen Verle- 
gern, am Rhein, in Oesterreich, in der Schweiz, eine dritte Aus- 
gabe in Herisau 1838, eine englische üebersetzung und eine fran- 
zösische in Paris durch den NeflFen Dupuytren*s, aber sie tau- 
gen alle nichts, und es stellt sich das Missliche ein, dass manche 
wahre und gute Lehren aus SchOnlein's Munde mit fatalen 
Missverstandnissen, Gorruptionen und Sinnlosigkeiten durch ein- 
ander vorkommen." Weiterhin theilt Siebert den Brief eines 
Mannes mit, „der nächst S c h ö n 1 e i n am besten unterrichtet sein 
muss," wie es scheint, Fuchs in Göttingen. Dieser erzählt: „Die 
Studenten R. und H. (keine Schüler Schönlein's, sondern 1831 
im ersten Semester zu Würzburg) unternahmen, um das Heft nicht 
schreiben zu müssen, den Abdruck in 100 ExeYnplaren für Stu- 
denten auf Subscription a 7 11, nach Heften, die sie von den 
verschiedensten Commilitonen (namentlich K., H. und A.) und aus 



*) Häser. Archiv für die ges. Medicin. 1842. Bd. HL S. 22, 
33. Ann). 

**) Siebert Häser's Archiv für die ges. Medicin. 1842. Bd. 11. 
S. 247. 



69 

den verschiedensten Zeiten stammend, entliehen. Schönlein ver- 
hinderte, so bald er es (durch mich) erfuhr, den Druck und drohte 
mit Klage. Der Student R. versprach, ihn nach 25 Bogen einzu- 
stellen, schickte aber den Rest des Manuscripts nach Erlangyau, 
Bamberg und Nfimberg, und nach weaigen Wochen verliess die 
Schmiererei die Presse und wurde an die 100 Studenten vertheilt; 
allein R. und H. reisten ab. Etlinger verschaffte sich einen der 
ersten Abdi-ficke und druckte ihn (zweite Auflage) nach; an eine 
Correctur durch einen Mediciner war nicht zu denken. Schön- 
lein 's Prozess mit Etlinger begann. Die dritte und vierte 
Auflage sind Abdrücke der früheren, nur Druckfehler sind theil- 
weise corrigirt." 

In ziemlich ähnlicher Weise hat mir auch Hr. Eisenmann 
die Sache auseinander gesetzt. Die betreffenden Studenten hätten 
darnach das Manuscript an den Buchdrucker T h e i n gegeben, um 
es in einer massigen Zahl von Exemplaren abziehen zu lassen. 
Hr. Eiseumann, der die Sache t<Hii The in erfuhr, theil te sie 
Schönlein mit, machte ihn darauf aufmerksam, dass einzelne 
Studenten für ein vollständiges nachgeschriebenes Exemplar sei- 
nes Ck)llegien-Hefbes bis zu 60—80 fl. gezahlt hätten, und schlug 
ihm vor, er wolle sich der Redaction der Hefte unterziehen und 
sie, nachdem Schön lein sie revidirt, unter seinem Namen ver- 
öffentlichen, so jedoch, dass das Honorar Schönlein zufalle. 
Allein dieser erklärte entschieden, er könne darauf nicht eingehen, 
„da seine bisherigen Leistungen noch zu ungenügend seien, uih 
sie dem grossen ärztlichen Publikum vorzulegen/* ^o kam es denn 
zu dem Nachdruck bei Etlinger, der freilich seinen Prozess ge- 
gen Schön lein verlor, aber dabei doch ein glänzendes Geschäft 
machte. Auch scheinen die spätem Nachdrücke nicht ohne Et- 
linger 's Zuthun erfolgt zu sein. Wenigstens schreibt Schön- 
lein in einem Briefe aus der Schweiz 1833: „Etlinger setzt 
auch hier seine Umtriebe, jedoch mit schlechtem Erfolge fort. 
Ich habe deshalb anliegende Erklärung in die Schweizer Blätter 
einrücken lassen, und Sie würden mich zu grossem Dank verpflich- 
ten, wenn Sie dieselbe auch an den Nürnberger Correspondenten 
und an das Frankfurter Journal senden wollten." 

Die Würzburger Ausgabe führt den Titel: „Allgemeine und 
specielle Pathologie und Therapie, nach J. L. Schönlcin's Vor- 
lesungen niedergeschrielcn und herausgegeben von einem seiner 



70 

Zuhörer. In 4 Bänden. Zweite verbesserte Auflage. Würzburg, 
in Comnüssion der Etlinger*schen Buchhandlung 1832." Der 
in dem vorher erwähnten Briefe angezogene Student B. ist nach 
einer mir gewordenen Mittheilung derselbe Carl Ludw. Bein- 
hard, der später auch Autenricth's Vorlesungen nachdrucken 
liess: (Anm. 36), der also offenbar ein Geschäft aus der Sache 
machte. 

Später ist noch eine russische Bearbeitung von Seh ö nie in' s 
Nosographie nach seinen Vorlesungen in Würzburg, Zürich und 
Berlin von Gregor Sokoljskenny in Moskau 1841 erschienen. 

Eine weitläuflge> mehr gelehrte, als fruchtbare Darstellung 
der Grundanschauungen hat nach den früheren Vorlesungen Most*) 
zu liefern versucht. 

Bach**) berichtet übrigens, dass Schönlein in der Züricher 
Zeit ernstlich mit dem Gedanken umgegangen sei, seine Patholo- 
gie und Therapie im Druck herauszugeben. Mit der Beim er'- 
sehen Buchhandlung in Leipzig sei schon ein Vertrag abge- 
schlossen oder dem Abschluss nahe gewesen, und das Buch unter 
dem Titel „Naturgeschichte der europäischen Krankheiten" in dem 
Messkataloge angekündigt. Doch habe sich die Sache später zer- 
schlagen. 

^* Zu S. 23. Dieses Buch erschien unter dem Titel: „Dr. 
J. L. Schönlein's, Professors in Berlin, Krankheitsfamilie der 
Typhen. Nach dessen Vorlesungen niedergeschrieben und heraus- 
gegeben von einem seiner Zuhörer. Zürich 1840." Allem An- 
schein nach basirt dasselbe auf Vorlesungen, die in Zürich gehal- 
ten worden sind; wenigstens heisst es wiederholt: „hier in Zürich" 
(S. 15). Auch ist schon von den Krystallen im Darm und den 
Darmausloerungen die Rede. Insofern ist es für die Bezeichnung 
einer bestimmten Periode allerdings von einigem Interesse. Pflr 
die Wüi-zburger Zeit ist die Inaugural-Dissertation von Magnus***) 
von ungleich grösserer Bedeutung. Die entschiedene Vorliebe 



*) G. F. Most, ücber alte und neue Lehrsysteme im Allgemeinen 
und über Dr. J. L. Schönlein's neuestes natürliches System der Me- 
dicin insbesondere. Leipz. 1841. S. 283. 

♦*) Bach a. a. 0. S. 21. 

***) Martin Magnus, Dis. inaug. med de typbo abdominali. 
Wirceb. 1828. 



71 

Schönlein *s für die Typlien erkläH sich wohl zum Theil aus 
dem Umstände, dass gerade in seine Studienzeit die grossen Epi- 
demien des Eriegstyphus fielen, welche ihm selbst Gelegenheit zu 
einer praktischen Beschäftigung gaben*), und dass insbesondere 
durch den älteren Marcus die Discussion über die entzündliche 
Natur dieser Krankheit sehr lebendig geworden war. 

^^ Zu S. 23. Die im Texte erwähnte Unterscheidung in 
formative, nutritive und fuuctionelle Störungen habe ich**) als 
Grundlage der Elementar-Pathologie aufgestellt, indem ich, durch 
das Studium der feinem Lebensvorgänge geleitet, zu der nothwen- 
digeji Trennung der einfachen Erscheinungen der zelligen Ele- 
mentar-Organismen nach den drei Grundrichtungen ihrer Thätigkeit 
geführt wurde. Eine ähnliche Auffassung muss noth wendig der 
Klassifikation Schönlein^s zum Grunde gelegen haben. Denn 
das Blut wird immer als Repräsentant der nutritiven, der Nerv 
als llepräsentant der functionellen Vorgänge erscheinen, und wenn 
Schönlein daneben noch den indifferenten Thierstoff, das Zoogen 
als Itopräsontanten der formativen (morpho tischen) Vorgänge hin- 
stellt, so kann man das um so mehr anerkennen, als er offenbar 
die Bildungsmasso im befruchteten Ei als Typus des Zoogens 
betrachtet. Denn schon DöUingor bezeichnete als den Anfang 
aller organischen Bildung das kömige Urgcwebe, in welchem die 
Körner (unsere jetzigen Zellen) durcli einen einfachen schleimigen 
Stoff zusammengehalten werden***). 

3c Zu S. 21. Joh. Herm. Friedr. v. Autenrieth (1772 
— 1835), Professor uud Kanzler der Universität Tübingen, hat 
verschiedene physiologische und praktische Schriften veröffentlicht, 
allein seine Vorlesungen über specielle Pathologie und Therapie 
sind von ihm selbst niemals dem Publikum übergeben worden. 
Nach Häserf) ist aber ein von Reinhard +t) 1834, gleichfalls 



♦) Güterbock. Schönlein's klinische Vorträge. Berlin 1842. S.451. 
*♦) Virchow. Archiv f path. Anat. und Physiol. 1858. Bd. XIV. 
S. 13. Cellularpathologie. Dritte Aufl. Berlin 1862. S. 268. 
*♦*) Ph. v. Walther. Rede auf Döllinger. S. 90. 
t) Häscr. Lehrb der Gesch. der Medicin und der Volkskrank- 
heiten. Jena 1845. S. 730. 

tt) Specielle Nosologie und Therapie. Nach dem Systeme eines 
berühmten deutschen Arztes und Professors. Herausgegeben von Dr. 
Carl Ludw. Beinhard. Würzb. 1834. 



72 

in der Etlinger* sehen Buchhandlung, also wahrscheinlich gleich- 
falls ohne Autorisation erschienenes, zweihändiges Werk auf Au- 
tenrieth zu heziehen, wofßr sachlich viel spricht. Schönlein 
folgte in vielen Stücken dem Vorgänge A utenrie th's. Die Lehre 
von dem Abdominaltyphus, von den neurophlogistischen Entzün- 
dungen, von den Krätzmetastasen ist von Autenrieth auf Schön- 
lein übergegangen, ohne dass man überall angeben kann, auf 
welchem Wege. Wie schon früher erwähnt, war Schönlein kein 
eigentlicher Schüler, sondern nur ein Anhänger Autenrieth*s, 
und noch zur Zeit, da ich bei ihm hörte, hielt er ihn in hohen Ehren. 
Hr. Eisenmann meint, dass er sich dessen Collegienhefte zu ver- 
schaffen gewusst und sowohl die von Autenrieth und Bohnen- 
berger herausgegebenen Tübinger Blätter für die Naturwissen- 
schaften und Arzneikunde (1815—17), als auch die unter 
Autenrieth's Leitung gearbeiteten Dissertationen eifrig verfolgt 
habe. 

^' Zu S. 24. Ueber Kielmeyer, den Mitschüler Schi 11 er' s, 
den Freund 6 öthe^s, den Lehrer Cuvier's, habe ich in meiner 
Schrift über Göthe*) Einiges mitgetheilt. Weiteres hat vor 
Kurzem Mayer**) nach eigenen Erlebnissen veröffentlicht. 

^ Zu S.24. Joh. Nepo.muk Ringseis, geboren 1785 zu 
Cham in der Oberpfalz, ist schon früher (S. 49, 53) von uns erwähnt 
worden. Wir haben ihn selbst erzählen lassen, wie er 7 Jahre 
in Ländshut Walther 's Schüler gewesen; er war dort zu dersel- 
ben Zeit mit Schön lein. Ob die Beiden hier näher an einander 
gerathen sind, ist mir nicht bekannt. Ich kann nur sagen, dass, 
während Schönlein der Spur Walther's folgte, Hr. Ringseis 
sich Röschlaub zuwendete. Dass dieser im Jahre 1813 die 
Erstlingsarbeit des Hm. Rings eis über die üebereinstimmung 
der Lehrsätze von Hippocrates und von Brown einleitete, ist 
gleichfalls schon angeführt. Bezeichnend sind die an dem Schlüsse 
der Einleitung stehenden Worte des Lehrers: Ad haec omnia vix 
dignior prolusio fieri potuerit, quam quae, ab ingeniöse hujus 
libri auctore facta, lecturis traditur. Multa adhuc ab eodem 
exspecto. Hr. Rings eis hat diesen Erwartungen wenigstens in 



♦) Virchow. Göthe als Naturforscher. S. 123. 
**) Mayer. Archiv der Heilkunde 1864. S. 353. 



73 

Beziehung anf die Person Röschlaub's entsprochen, indem er 
den noch mehr geistig, als körperlich gealterten Lehrer, nach der 
Aufhebung der Landshuter Universität in eine günstige Stellung 
nach München brachte (S. 48). Um so schlimmer gestaltete sich 
aber das Verhältniss zu seinem anderen Lehrer, zu Walther, der 
1830 von Bonn nach München zurückgerufen war. Hr. Rings eis, 
der inzwischen den Kronprinzen Ludwig, auf seinen Reisen nach 
Italien begleitet und alle Entwickelungsstadien desselben mit durch- 
gemacht hatte, der nach und nach Professor, Obermedicinalrath 
und Leibarzt des Königs geworden war, trat mit Görres in die 
ersten Reihen der ultramontanen Kämpfer; namentlich auf dem 
Landtage von 1837, wo er als Deputirter der Universität sass, 
brachte er seine auf mittelalterliche R^tauration gerichteten Ge- 
sinnungen offen zu Tage. Ihm gegenüber wurde Walther bald 
machtlos und schon 1837 sah er sich genöthigt, die chirurgische 
Klinik aufzugeben und damit seine Niederlage anzuerkennen. Die 
Reformation musste in München der Restauration weichen. Ja, 
als Walther endlich, ein müder Arbeiter, die Augen schloss, da 
versagte es sich Hr. v. Ringseis nicht, in der Akademie die 
Gedächtnissrede auf ihn zu halten (S. 49), und er benutzte diese 
Gelegenheit, um die moderne Richtung der Wissenschaft, die so 
wesentlich ein Werk des Verstorbenen war, als eine gänzlich irrige 
und verfehlte darzustellen. Nur der Lebende hat Recht! Der 
„Fürst in Kunst und Wissenschaft", wie er den grossen Chirurgen 
mit heuchlerischer Emphase nannte, war dahin. Aber noch war 
es nicht gelnngen, den „ Grössfürsten " niederau werfen. Freilich 
hatte Schönlein 1833 flüchtig das gemeinsame Vaterland ver- 
lassen müssen, und es gab einen Augenblick, wo Hr. Ringseis 
sich als stolzer Triumphator erhob und laut in die Posaune stossen 
durfte. Am 18. December 1833 hielt er als neu gewählter Rector 
der Münchener Universität seine Antrittsrede „über den revolu- 
tionären Geist auf den deutschen Universitäten." Da war es, wo 
er die Fahne des Glaubens hoch über Staat und Wissenschaft empor- 
hob. Er sprach nicht, wie die bloss conservativen und reactio- 
nären Parteigänger; er scheute sich nicht zu sagen: „Fürsten und 
Völker mit ihren Ständen sind von Gottes Gnaden; von Gott ha- 
ben Fürsten und Völker ihre Rechte und Verpflichtungen." Der 
nach seinem Sinn corporativ zu ordnende Staat soll mit Fürsten 
und Gemeinen der Kirche unterthänig sein. „Da der Geist 



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74 

des Unglaubens, indem er sich aller Theorie und Praxis bemäch- 
tigt, den Ungehorsam in unzähligen Aftergeburten erzeugt hat, 
so kann nur der Glaube in Lehre und Leben den Gehorsam er- 
wecken und die Schlangenbrut des Ungehorsams zerstören." Die 
eigentlichen Repräsentanten dieser Schlangenbrut waren aber för 
ihn Rotteck und Schönlein, die nun beide von ihren Lehr- 
stühlen vertrieben waren. Konute er nicht triumphiren? Leider 
war der Triumph ein kurzer und unvollständiger. Als er sah, dass 
der flüchtige Lehrer in Zürich wiederum einen grossen Kreis lern- 
begieriger Schüler um sich sammelte, während die Münchener 
Hochschule von Jahr zu Jahr mehr vereinsamte, da wuchs der 
Groll, und als endlich der Ruf an die Berliner Universität dem 
vei'hassten Gegner den höchsten medicinischen Einfluss in Deutsch- 
land zutheilte, da floss der Kelch seines Zornes über. — Doch, 
wir wollen hier dem Text nicht zu weit vorgreifen, der uns bald 
Gelegenheit geben wird, auf Hrn. v. Rings eis zurückzukommen. 
Hier möge es genügen, des Gegensatzes wegen, eine Stelle ans 
einer Rede Phil. v. Wälther's*) anzufahren, weil das, was 
darin von den Despoten gesagt ist, auch auf die Hierarchie passt: 
„Tyrannen und die verächtlichen Werkzeuge ihrer verhassten Ge- 
walt pflegen die Wissenschaften dadurch zu ehren, dass sie ihre 
Verehrer und Pfleger fürchten und verfolgen: wohl wissend, wel- 
chen Einfluss diese auf die Freisinnigkeit haben, und dass jede 
freie Entwickelung des menschlichen Geistes ihrer Macht den Um- 
sturz drohe. Auch der Tyrann von Coi-sica, nachdem er den eu- 
ropäischen Continent seiner Zwingherrschafb unterworfen hatte, 
blickte mit einer Art furchtsamer Scheu auf alle wissenschaftlichen 
Anstalten. Besonders waren die deutschen Universitäten wegen 
des an ihnen herrschenden freien wissenschaftlichen Geistes auf- 
fallende Anomalien in seinem Reiche der allgemeinen Geistes- 
ertödtung. Er hatte zwar nur Eine derselben zerstjrt: allein ge- 
wiss wären alle langsam erstorben, hätte nicht der vorhersehende 
Gott die physischen und moralischen Kräfte der Welt gegen ihn 
entfesselt." 

3^ Zu S. 2G. Ich entnehme diese wenig bekannten Thatsachen 
aus ein Paar, mir gütigst mitgetheilte Privatbriefen. Sein Schwie- 



*) Ph. V. F. Walt her. Rede auf Bertelc. S. 29. 



75 

gervater bericlitet schon unter dem 30. Jannar 1833, dass Schön- 
lein einen Raf als Professor nach Zürich erhalten und darauf um 
seine Entlassung gebeten habe, unter dem 21. Februar 1833 
schreibt Schonlein selbst ans Baden im Aargau: ,,Das Leben 
in Zürich gefiel mir mit jedem Tage mehr, und nur mit Mühe 
konnte ich mich losreissen, um die gegebene Müsse zu einer Bade- 
kur dahier zu verwenden. Das Hospital ist gross und sehr reich, wird 
aber grösser durch die politische Reformation gebotener Verände- 
nmgen bedürfen. Darüber sind alle Parteien einig, so dass ich 
dabei auf keine grossen Hindernisse zu stossen befürchte. Die 
Beweise von Achtung und Vertrauen, die mir Leute von allen 
Farben geben, sind höchst aufmunternd, und bilden einen 
schreienden Gegensatz mit der Brutalität, womit man mich in 
Bayern behandelte. Ich habe Ihnen schon früher gesagt, dass ich 
im Grunde über die letzten Ereignisse recht herzlich froh bin, und 
Alles bestätigt mich in dieser Ansicht. Von den kleinen politi^ 
sehen Reibungen entfernt, hoffe ich hier ein fruchtbareres wissen- 
schaftliches Leben zu führen. Zürich ist. reich an ausgezeichneten, 
anregenden, höchst geselligen Mannern. So der Historiker Hot* 
tinger, der Weltumseglor Dr. Homer, der Philologe Orelli, 
die Gerlach, Linth, Escher." In einer Nachschrift fügt er 
hinzu: „Anliegender Artikel aus dem von Troxler redigirten 
Aargauer Volksblatt. Dagegen haben mir schon die Baseler „als 
nach Demagogie riechend" einen kleinen Tritt gegeben." Auch 
mit Se ufert wurde Seitens der Züricher Regierung unterhandelt. 
^® Zu S. 26. Bach*) sagt etwas zweideutig: „Wenn auch 
Schön lein damals als eines der zahlreichen Opfer der Reaction 
fiel, so ist doch die weit verbreitete und viel geglaubte Annahme 
unrichtig, dass er als politischer Flüchtling in die Schweiz kam. 
Wohl möglich, dass auch er noch, wie viele seiner Freunde, bei 
längerem Verweilen in Bayern in den verwickelten Rattenkönig der 
damaligen politischen Processe mit hineingezogen worden wäre, 
aber direkt angeklagt oder verfolgt war er nie." An dieser Dar- 
stellung ist nur richtig, dass Schönlein nicht nach der Schweiz, 
sondern nach Frankfurt floh und hier die Ordnung der Züricher 
Verhältnisse abwartete, also wörtlich genommen, nicht unmittelbar 
als politischer Flüchtling in die Schweiz ging. Dass er aber 



*) Bach a. a. 0. S. 16. 



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76 

in der angegebenen Weise aus Würzburg floh, habe ich von ver- 
schiedenen Zeitgenossen selbst gehört. Die Gehässigkeit der Ver- 
folgungen gegen die Würzburger Liberalen trifft hauptsächlich 
den damaligen Minister des Innern, den Fürsten von Oettingen- 
Wallerstein, das nachmalige Haupt der bayrischen Opposition. 
Die Denunciation aber soll von Würzburg ausgegangen sein; ins- 
besondere bezüchtigto man ein Mitglied der Universität, Professor 
F. Indess würde es wahrscheinlich bei der Entsetzung Scbön- 
lein's von der Professur sein Bewenden gehabt haben, wenn 
nicht dessen Anwesenheit in Frankfurt während des Kau sehe n- 
platt'schen Attentates den Verdacht auf ihn und Seufert (1831 
zweiter Präsident der Kammer der Abgeordneten und dann zum 
Appellationsgericht versetzt) gelenkt hätte, dass sie bei dem 
Putsch botheiligt, vielleicht sogar die Urheber desselben gewesen 
seien. So ward der Verhaffcsbefehl wider sie erlassen, dessen Voll- 
streckung sich Schön lein durch die Flucht entzog. Dass er trotz 
dieser Flucht, aus der er selbst später gar kein Geheimniss 
machte, ein gutes Gewissen hatte, geht daraus hervor, dass er in 
Frankfurt blieb, wo ihm der damals sehr gefQgige Senat gewiss 
keinen wirksamen Schutz gewährt haben würde, wenn man ans 
der' Verfolgung Ernst gemacht hätte. Für die Beurtheilung der 
damaligen Verhältnisse aber ist ein Brief des Regiemugsrathes 
H offner in Würzburg, des Schwiegervaters Schön lein 's, vom 
23. April 1833 recht charakteristisch, insofern er zugleich über 
den grossen Buf, dessen Schönlein schon damals genoss, ein 
unverfängliches Zeugniss ablegt: „Es thut mir leid, dass Schön- 
lein nicht liierher kommen konnte. Die nämlichen Pferde, die 
nur auf sein Einsteigen warteten, brachten ihn nach Mannheim in 
Folge zweier Schreibon, die er im Augenblick seiner Abreise er- 
halten hatte. Das eine von dem Fürsten von Wittgenstein 
enthielt die dringende Bitte, seine kranke Gemalin in Mannheim 
zu besuchen und einige Tage dort zu verweilen. Das andere von 
einem nicht unterzeichneten Freunde auch mit dringenstor Bitte, 
sich keinen Vexationen der bairischen Polizei und Gerichte 
auszusetzen. Er war nämlich zweimal in Aschaffenburg bei dem 
kranken Hrn. Bolongaro und wollte nun auf seiner Reise hierher 
abermal dort verweilen. Verdrüssig und auch mündlich aus Ge- 
sandtschafts-Häusern gewarnt, fuhr er nach Mannheim ab. — In 
Frankfuit sollen, wie Messleutc dahier erzählten, vcr seinem Gast- 



77 

hause schon frflh 8 Uhr die Wagen angefahren sein, als wohne 
ein grosser Fürst da, nnd wenn er zu Fuss ausgegangen, so sei 
er, wie ehemals Ho honlohe dahier, mit einer Menge Menschen 
umgeben gewesen. Rothschild, dessen Nie9e Schoulein heilte, 
nicht Hohenlohe, soll ihn aber auch mehr als fürstlich honorirt 
haben. — Heute früh ^6 Uhr reisten seine Frau nebst Kind, 
Fräulein S. und Magd bei gutem Wetter nach Zürich ab, wo Pro- 
fessor Se ufert sie nach einem Monate besuchen wird, noch nicht 
um dort zu bleiben, sondeni- nur, vor der Hand das Terrain zu 
sondiren." 

Als Schön lein später den Ruf nach Berlin erhielt, sagte 
freilich König Ludwig von Bayern zu einer Deputation, welche 
aus Würzburg nach Brückenau gekommen war und an deren 
Spitze der Regierungsrath H e f f n e r stand : „S c h ö n 1 e i n hätte auch 
nicht gebraucht so ohne Weiteres aus Bayern wegzulaufen.** 

*' Zu S. 26. Man vergleiche über diese Zeiten Bruno 
Bauer Geschieht« der Parteikämpfe in Deutschland, insbesondere 
desselben Geschichte der constitutionellen und revolutionären Be- 
wegungen im südlichen Deutschland. Charlottonb. 1845. Bd. II., 
S. 110, 126, 197, 218, 243. Bd. III., S. 59, 86, 95, 256. 

• 

*'^ ZuS. 26. Hr. Eisenmann schreibt mir über Schön lein 's 
politische Stellung: „Seiner politischen Gesinnung nach war 
Schönlein entschieden liberal im constitutionell-monarchischen 
Bereiche und er machte aus dieser Gesinnung kein Hehl, die denn 
auch allgemein bekannt war, wenn er sich auch nicht als Führer 
einer Partei in den Vordergrund stellte. Er hat keine Arbeiten 
zu dem Bayrischen Volksblatt geliefert, aber er hat mein Unter- 
nehmen moralisch unterstützt und stand in nahem freundlichem 
Verkehr mit den juristischen Professoren Se ufert und Brendel, 
welche viel für das Volksblatt . thaten , sowie mit dem Bürger- 
meister Behr, welcher aber nur ein paar Artikel in Bezug auf 
städtische Fragen lieferte.** Hr. Eisenmann fügt hinzu, dass er 
selbst das Geist'sche Bierhaus in der Kühgasse theils absicht- 
lich, theils weil er schon leidend war, wenig besucht hatte, dass 
aber dennoch die Gesellschaft als ein mit dem Volksblatt zusam- 
menhängender revolutionärer Club dem König Ludwig denuncirt 
wurde. 



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5 

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78 

^3 ZuS. 26. Carl Friedr. von Marcus wurde am 2. Sept. 
1802 zu Bamberg*) geboren. Sein Verhältniss zu Adalb. Fr. 
i Marcus ist nicht ganz klar. Nach den Andeutungen der Bio- 

graphen**) scheint er ein natürlicher Sohn desselben gewesen zu 
sein; jedenfalls wurde er kurz vor dem Tode des alten Marcus 
von diesem gerichtlich adoptii*t. Schon 1817 bezog er die Wüm- 
burger Universität und noch vor seiner Promotion erhielt er die 
Assistentenstelle bei Seh ü nie in, die er volle 3 Jahre bekleidete. 
1822 wurde er unter Döllinger promovirt. Aber bald nachher 
traf ihn die politische Verfolgung. Fidel***) sagt darüber in 
seiner Gedächtnissrede: „Die vorherrschend patriotische Richtung 
der damaligen Jugendbegeisterung führte Marcus zur allgemei- 
nen deutschen Burschenschaft, wo er als Sprecher der Würzburger 
Burschenschaft im Jugendkreise nicht unbedeutende Proben seiner 
Rednergabe ablegte. Mehr durch fremdes, als durch eigenes Zu- 
thun wurde sein Name mit den engeren Organen der damaligen 
Bewegungspartei in Verbinduug gebracht. In Folge dessen wurde 
er in eine strafrechtliche Untersuchung wegen Theilnahme an einer 
hochverrätherischen Verbindung verwickelt, welche ihm Verhaf- 
tung, Ablieferung nach München und eine dreizehnmonatliche Haft 
in dem Neuthorthuiine daselbst zuzog. — Die Untersuchung endete 
ohne Rjosultat." 1825—27 war er Assistent im Allgemeinen Kran- 
kenhauso zu München unter Grossi und Ringseis, dann eine 
kurze Zeit Gerichtsarzt und am 30. Octbr. 1832 erhielt er die Er- 
nennung zum Nachfolger Schönlein*s. „Dem Zartgefühl und 
dem Rechtssinne unseres Marcus", sagt Edel, „war es verletzend, 
die Stelle eines mit Dankbarkeit verehrten und befreundeten Leh- 
rers auszufüllen, die oben ein politischer Gewaltstreich eröffnet 
hatte." Jäck berichtet von Marcus, dass er Schönlein öfters 
versichert habe, er „sei von lebenslänglichem Danke trotz der 
gegentheiligen Gerüchte durchdningen." Gewiss war es schwer, 
unter solchen Verhältnissen den. erledigten Lehrstuhl ohne Miss- 
trauen zu behaupten. Denn die eifrigen Anhänger Schönlein 's 



*) Wegele (Die Reformation der Universität Wirzburg, S. 20). 
gibt wohl irrthümlich Würzburg als Geburtsort an. 

**) Marcus und Speyer a. a. 0. S. 20. Anm. Jäck. Zweites 
Pantheon. S. S2. 

***) Edel. Würzb. med. Zeitschr. 1863. Bd. IV. S. XXXVII. 



79 

trugen kein Bedenken, über oifenen Verrath zu klagen. Siebe rt*) 
ruft aus: „0! es gab manchen falschen Jünger in Schön- 
lein's Klinik zu Würzburg, der die noch unbeschriebene Patent- 
karto in der Tasche festhielt, und der einzuzeichnende Grad 
künftiger Erhebung hing von dem Eifer ab, mit welchem er 
den Meister verrieth. Als die Passionszeit herankam, da f^^tellto 
sich Einer um den Anderen, und sie verleugneten um die Wette 
und in dem Grade, als sie Gelüste trugen nach den Brosamen, 
die von des Herrn Tische fielen. Die also Gesegneten ver- 
leugneten aber nicht nur, sondern sie legten auch Zeugniss ab 
wider den Verrathenen, und eine Paraphrase der Worte des Herrn 
von Kingseis: „diese Naturanbeter misshandeln dieselbe Natur 
gleich einer feilen Metzo, frech experimentirend mit Menschen- 
leben, als sei der Mensch wegen ihrer sogenannten Kunst und 
Wissenschaft, nicht diese des Menschen willen vorhanden" — 
ganz ähnliche Worte, sage ich, hörten wir vor Kurzem in dem- 
selben Hörsaale, wo einige Jahre vorher der Redner die Worte 
von Schönlein 's Munde wegfing und emsig niederschrieb, nun 
aber Zeugniss wider den ablegte, dem er die einzigen guten Flicken 
zu seinem zusammengeflickten Lumpenkram verdankt." Wie viel 
an diesem Vorwurfe Thatsächliches ist, vermag ich nicht zu be- 
urtheilen. Wahrscheinlich lenkte sich der nächste Verdacht dess- 
halb auf Marcus, weil er nach seiner Entlassung aus dem Kerker 
Assistent des Hm. Ringseis gewesen war. Aus eigener Wissen- 
Schaft kann ich nur sagen, dass Marcus mir gegenüber stets 
mit dem Ausdrucke der grössten Anerkennung und Hochachtung 
von Schönlein sprach. 

^^ Zu S. 27. Nichts wird diesen frischen Zustand seines Ge- 
mütlies besser schildern, als ein später (Anm. 49) beizubringender 
Brief, den Schönlein unter dem 5. Dec. 1833 von Zürich nach 
Bamberg schrieb. 

*^ Zu S. 28. Hermann Leber t aus Berlin, gegenwärtig 
Professor in Breslau, gehört der frühesten Zeit der Züricher Periode 
an. Schönlein wollte ihn 1834 mit Dr. Jäger aus Stuttgart 
auf eine naturwissenschaftliche Reise nach Mozambique schicken; 
der Plan zerschlug sich durch den in Paris erfolgten Tod von 
Jäger. 

*) Siebert. Häser's Archiv 1842. Bd. 11. S. 239. 



80 

if 

f 1 , *^ Zu S. 28. W i 1 h e 1 m G r i 8 i 11 g e r, gegenwärtig Professor 

* in Zürich, griff sehr bald handelnd in die Streitigkeiten der medici- 

: nischeu Schulen ein. In dem Archiv für physiologische Heilkunde, 

'^ das er mit Wunderlich, Roser und Vieror dt gegründet imd 

' gestützt hat, trat die junge Opposition auf den Kampfplatz, welche 

sofort auch gegen Schön lein selbst und die naturhistorische 

~ - Schule, wie sie aus der Würzburger Periode hervorgegangen war, 

Front machte. Hrn. Griesinger's Artikel: „Herr Bingseis und 

■ die naturhistorische Schule'' giug gleichzeitig gegen beide Rich- 

tungen an, und nachdem seine Kritik beide als ungenügend ver- 
werfen hatte, wendete sie sich von der naturhistorischen Schule 
zu dem Meister selbst, um auch seine Methode zu verurtheilen *), 
Es lässt sich nicht leugnen, dass diese Kritik durch die oft maass- 
losen Lobpreisungen der „Schule" herausgefordert wurde, aber sie 
erschien damals doppelt herb, weil sie sich hauptsächlich gegen 
den nosologischen Systematiker richtete, weil sie also gerade 
diejenige Seite des Wesens Schönlein's traf, welche diejenigen, 
die ihn am Krankenbette und als Lehrer gesehen hatten, als 
die unwesentliche kennen gelernt haben mussten. Hr. Wunde r- 
lich**) selbst hat diess später bestimmt hervorgehoben. 

*' Zu S. 29. Die Abhandlung trägt den Titel: „Ueber 
Crystalle im Darmkanal bei Typhus abdominalis. Aus brieflichei 
Mittheilnng an den Herausgeber." Eine Tafel mit vortrefflichen 
Abbildungen ist zur Erläuterung beigegeben ***) ; sie enthält zu- 
gleich unter Figur 13—17 Hamsäure-Krystalle aus diabetischem 
Harn. Ueber die chemische Natur der „Typhuskrystalle** war 
Schön lein nicht ins Reine gekommen; er war geneigt, sie für 
Kalkphosphat zu nehmen, wie auch aus den anonym veröffentlich- 
ten Vorlesungen f) hervorgeht. Ueber ihre Bedeutung sagt er Fol- 
gendes: „Das Auffinden eines eigenthümlichen Gry stall Systems 
beim typhösen Krankheitsprocessc erweitert den Kreis der pathi- 



*) Archiv für physiol. Heilkunde, herausgegeben von Roser und 
Wunderlich. Stuttgart 1842. Bd. I S. 81. 

*♦) Archiv für physiol. Heilk. 1843. Bd. 11. S. 294. 

♦*«) Archiv für Anatomie, Physiologie u. wissenschaftl. Medicin 
von Job. Müller. 1836. S. 258. Taf XI. 

f) Schönlein 's Krankheitsfamilie der Typhen. S. 8. 



81 

sehen Processe, für die Crystallbildangen charak- 
terisirend sind, auf eine für mich um so erlreulichere Weise, als 
dieses neue Glied in der Reihe der Crystalle bildenden Pro- 
cesse das Verhältniss dieser zu jenen, für welche Bil- 
dung von Epi- und Entozoen, Epi- und Entophyten her 
zeichnend und charakteristisch ist, in einem ganz neuen 
Lichte erscheinen lässt.'* SO schreibt er am 23. Nov. 1835. In 
einem Nachtrage vom 15 April 1836 ergänzt er die ersten Mit- 
theilungen und weist noch ganz besonders auf die diagnostische 
Bedeutung seines Fundes hin. Nichts kann charakteristischer sein, 
a]s diese kleine Notiz. In erster Linie steht immer der Kliniker, 
welcher strengere diagnostische Merkmale sucht und dazu die fei- 
neren Hülfsmittel der mikroskopischen und chemischen Unter- 
suchung heranzieht. In zweiter Linie erscheint der naturhistorisch 
geschulte Theoretiker, der die Form dieser KrystaUe mit der anderer 
mineralogischer Bildungen vergleicht, und der den Fund für die 
Ausbildung des natürlichen Systems der Krankheiten zu verwer- 
then geneigt ist. — Freilich hat sich beides als nicht ganz zutref- 
fend erwiesen. Von den Krystallen zeigte sich bei weiterer Unter- 
suchung, dass sie aus phosphorsaurer Ammoniak-Magnesia (dem 
sogenannten Tripelphosphat) bestehen, und ihre Bedeutung für die 
Diagnose des Typhus und für die Systematik ist namentlich durch 
Gust. Zimmermann*) erschüttert worden, der den Nachweis 
lieferte, dass wenn diese Krystalle auch im Typhus häufiger vor- 
kommen, sie doch mehr der Zersetzung thierischer Substanz über- 
haupt, als dem besonderen Krankheitsprocess angehören. Nichts-^ 
destoweniger wird ihre Auffindung stets als ein rühmliches Zeichen 
der Sorgfalt gelten können, mit der damals in Zürich die „Natur- 
geschichte'^ der Krankheiten studirt wurde. 

*^ Zu S. 29. Die kleine Notiz über den Porrigo-Pilz ♦♦) ist 
so charakteristisch, dass ich Sie hier ganz wiedergebe. Sie führt 
den Titel: „Zur Pathogenie der Impetigines. Auszug aus einer 
brieflichen Mittheilung an den Herausgeber' ', und lautet folgender- 
maassen: „Sie kennen ohne Zweifel Bassins schöne Entdeckung 
über die wahre Natur der Muscardine. Die Thatsache scheint 



«) Zimmermann. Casper's Wochenschrift 1843. Nr. 42. Archiv 
für pbys. Heilk. 1816. Bd. V. S. 631. 

**) Schön lein in Müllers Archiv 1839. S. 82. Taf. III. Fig. 5. 

6 



83 

mir vom höschsten Interesse für die Pathogenie, obgleich meiDes 
Wissens auch nicht ein Arzt sie bisher seiner Aufmerksamkeit 
gewürdigt hatte. Ich Hess mir deshalb zahlreiche Exemplare Ton 
Seidenwürmem, die an der Mnscardine litten, von Mailand kommen, 
und meine damit angestellten Versuche haben nicht bloss Bas si 's 
und Audouin^s Angabe bestätigt, sondern noch einige andere 
nicht ganz unwichtige Resultate ergeben. Dadurch wurde ich denn 
wieder an meine Ansicht von der pflanzlichen Natur 
mancher Impetigines erinnert, eine Ansicht, die durch ünger*s 
schöne Arbeit über Pflanzen-Exantheme schon früher eine mächtige 
Unterstützung fand. Da ich gerade glücklicher Weise einige Exemplare 
von Porrigo lupinosa W. im Hospitale hatte, 8o machte ich mich 
an die nähere Untersuchung, und gleich die ersten Versuche Hessen 
keinen Zweifel über die Pilz-Natur der sogenannten Pusteln. An- 
liegend eine mikroskopische Abbildung eines Pustelstückes. Zu-^ 
gleich sende ich einige mit der grössten Leichtigkeit aus der oberen 
Schicht der Lederhaut vom Lebenden ausgeschälte Porrigo-Pusteln 
bei. Ich bin eifrig mit weiteren Untersuchungen über diesen Gegen- 
stand beschäftigt, deren Resultat ich aber zu veröffentlichen ge- 
. denke." Die mitgetheilte Abbildung ist noch heute durchaus 
mustergültig, wie denn die Beobachtung in jeder Beziehung ent- 
scheidend war. Hr. Remak*) hat später den Pilz selbst mit 
dem Namen des Achorion Schönlein ii belegt. Die Hoffnung 
Schön lein *s, dass es ihm gelingen werde, in gleicherweise die 
Pilznatur anderer Hautkrankheiten zu ergründen, hat sich nicht 
erfQllt, allein andere Untersucher sind auf seinem Wege glück- 
licher gewesen, und man kann daher sagen, dass er der eigent- 
liche Begründer der Lehre von den Dermatomykosen geworden ist. 
So hat gerade das botanische Studium bei ihm die beste Frucht 
getragen. 

^^ Zu S. 30. Als Zeugniss für seine Stimmung mögen fol- 
gende Briefe dienen: Am 23. Juli 1833 schreibt er aus Zürich 
an den Bibliothekar Jack in Bamberg: „Ich danke Ihnen herz- 
l liehst für die Nachrichten, die Sie mir von Zeit zu Zeit aus un- 

I 



*) R. Remak. Diagnostische und pathogenetische Unter€uchun- 
gen in der Klinik des Herrn Geh Ratbs Dr. Schön lein, auf dessen 
YeraiüasBung angestellt. Berlin 1845. S. 205. 



serer Vaterstadt mitzutheilen die Güte haben. Sehr bedauern 
muss ich, dass Sie in der letzten Zeit etwas im Rückstand geblie- 
ben sind. Lindner (Inspector des Bamberger Naturalienkabi- 
nets, Exbenedictiner) mögen Sie sagen, dass in den neuesten 
Tagen wieder eine grosse Naturalienlieferung aus Celebes, be* 
stehend in drei Kisten und einem Fasse, angekommen sei. Das 
Meiste ist zwar schon hier, in Turin, Wien und Stuttgart ver- 
kauft, doch wird sich noch immer einiges für unsere Bam- 
berger Sammlung finden. Ich habe nur eine Besorgniss, dass es 
einmal der Regierung gefallen könnte, die Sammlung als Staatsgut 
auszuplündern, und was ihr gefällig, nach München zu Schleppern 
Dafür möchte ich nun meine Geschenke gesichert wissen. Geben 
Sie deshalb einen guten Rath. Meine Meinung ist, die neu errichtete 
naturhistorische Gesellschaft zur Eigenthümerin zu machen und zu 
verlangen, dass meine Gaben inventarisirt werden, mit der Erklärung, 
dass im Falle der Auflösung des Kabinets dieselben an die natur- 
historische Gesellschaft (über die ich Sie um einige Nachricht 
bitte) übergehen sollen. Auch mit den von mir auf der Bibliothek 
deponirten Büchern wünsche ich es so gehalten zu haben. Ich 
denke sie noch immer zu vermehren. Haben Sie die von Würz-« 
bürg gesendeten Bücherkisten erhalten? Haben Sie die Güte, 
darüber ein Verzeichniss zu fertigen und einen Stempel auf 
meine E Osten anzuschaffen, womit alle gezeichnet werden sollen. 
So als mein Eigen thum gestempelt, mögen Sie sie immer zur 
besseren Benutzung unter die Bücher der öffentlichen Bibliothek 
einreihen. Auch diese Bücher sollen der Stadt und namentlich 
der naturhistorischen Gesellschaft als Eigenthnm gehören. Doch 
werden Sie die Güte haben, mir deshalb Ihre Ansicht gefälligst 
mitzutheilen. Oken und Orelli grüssen Sie herzlichst. Kommen 
Sie doch auf einige Wochen zu uns in das herrliche Zürich. Ihr 
ergebenster Schönlein.'' Und am 5. December desselben Jahres, 
wo er wieder Geschenke für die Bamberger Sammlungen ankün- 
digt, sagt er: „Wenn Sie die Zeitungen lesen, so werden Sie 
glauben, dass an der hiesigen Universität Alles in Gährung und 
Aufruhr sei, und die Anstalt Gefahr laufe, zusammenzustürzen. 
Nehmen Sie das Gegentheil von Allem dem und Sie haben die 
Wahrheit. Gerade das Gedeihen und fühlbare Wachsen der neuen 
Institution erzeugt all dies Treiben und Lärmen der Gegner. Die 
medicinischen Anstalten schreiten rasch ihrer möglichsten Ver- 

6* 



84 

bessening entgegen, und die Anzahl der Mediciner ist so im 
Wachsen, dass ich in Jahresfrist hoffe, den Betrag der Honorarien 
jenem gleich zu sehen, den sie selbst in der blühendsten Periode 
des letzten Jahres in Wfirzburg erreichten. Und nun vor Allem 
die freye Alpenluft, und was kann diesem Genuss gleichgeachtei 
werden! Um die Wonne meines hiesigen Aufenthaltes so recht 
zu gemessen, halte ich mir die treffliche bayrische Landbötiu, um 
80 immer in Eenntniss von den weissen Einrichtungen, den ge- 
rechten Urtheilssprüchen , den väterlichen Massregeln, überhaupt 
vom Glück und der Herrlichkeit meines früheren Vaterlandes zu 
bleiben. — Sie schreiben mir, dass Sie bei der Regierung wegen 
meiner Schenkungen eine Eingabe gemacht haben. Das war, am 
mildesten gesagt — eine kleine Thorheit. Man wird hierin wieder 
Hohn und was sonst von mir erblicken, und Sie dürfen sich glück- 
lich preisen, wenn Sie nun gar keine Antwort erhalten. Ich 
wenigstens will den Bescheid nicht abwarten, sondern werde 
nächstens eine Schachtel mit chinesischen und afrikanischen In- 
sekten zum Weihnachtsgeschenke absenden, der bald eine grössere 
Kiste mit Naturalien und einigen Kleinigkeiten für Sie folgen soll. 
Gerne würde ich die Dinge von einem Briefe an Lindner begleiten 
lassen, wenn ich nur wüsste, dass dieser würdige Mann nicht 
einige Apprehension hegte, die bei seiner Hoffnung auf den Lud- 
wigs -Orden ich freilich sehr natürlich finde. Ich will daher die^ 
sen Zeitpunkt abwarten, wo der hochwürdige Herr nichts mehr 
zu hoffen noch zu fürchten hat, und dann. ihm schreiben. Für 
Rüttinger's (Lyceal - Director in Bamberg, zugleich ehemaliger 
Mitschüler von Schönlein) meisterhafte Rede meinen herzlich- 
sten Dank. Sie werden durch fortdauernde Sendung von Doku- 
menten der Treue und Anhänglichkeit der offenen und biederen 
Bamberger sich das Verdienst erwerben, in mir die monarchischen 
Gesinnungen immer frisch und lebendig zu erhalten, die an dem 
Treiben und Leben der Bewohner meines gegenwärtigen Aufent- 
haltes nicht immer die nöthige Nahrung und Pflege finden möch- 
ten. Oken und Orelli grüssen Sie so herzlich als ich, Ihr er- 
gebenster Schön lein." 

*® Zu S. 30. Bach*), der als Schweizer und Züricher für 



•) Bach a. a. 0. 6*. '22. 



85 

diese Periode wohl ein besonders competenter Zeuge ist, bericfat<|t 
Folgendes: „Die zflrcherischen Freunde Schönlein*s wollten 
den Mann, dem die Hochschnle so viel verdankte, und der durch 
das Ablehnen zweier sich in kurzer Zeit folgender ehrenvoller 
Berufungen den entsprechendsten Beweis seiner Anhänglichkeit 
geleistet hatte, noch fester an Zflrich binden und ihm durch die 
schenkungsweise Verleihung des Ehrenbflrgerrechts ein Zeichen 
der Anerkennung auch von Seiten der Gesammtbflrgerschaft geben. 
Sie betrieben diese Angelegenheit ernsthaft bei den städtischen 
Behörden und wirklich brachte der Stadtrath auch im Juni 1836 
einen Antrag in diesem Sinne an die Bftrgergemeinde. Ganz 
wider Erwarten und zum allgemeinen Erstaunen wurde dieser An- 
trag von einer kleinen Mehrheit verworfen, verworfen — weil 
Schön lein Katholik war! Möglich, dass dieses betrübende Er- 
gebniss schon als eine Zuckung der tiefgehenden kirchlich -politi- 
schen Bewegung, welche einige Jahre später den Kanton Zflrich 
so heftig erschütterte, angesehen werden muss, gewiss aber ist, 
dass Schönlein dadurch schwer gekränkt war, und ebenso ge- 
wiss, dass ein solcher Anachronismus in Zürich heute zu den Un- 
möglichkeiten gehören würde.*' Das mag sein, aber sicherlich 
konnte es das Heimathsgefühl Schönlein's nicht kräftigen, so 
behandelt zu sein. Man darf dabei nicht übersehen, dass man ihm 
sagte, ein Katholik müsse 1800 Gulden für das Bürgerrecht 
zahlen und man könne bei ihm keine Ausnahme machen! Dazu 
kam, „dass die politischen Stürme, welche damals den Kanton 
Zürich durchbrausten, die Existenz der Hochschule selbst in Frage 
stellten'**), und man wird begreifen, dass, als nun der Berliner 
Bnf kam, die Entscheidung nicht lange zweifelhaft sein konnte. 
Die Königl. Cabinetsordre , welche die Anstellung Schönlein^s 
in Berlin verfügte, datirt schon vom 14. April 1839» und er hätte 
also nach dem gewöhnlichen Gebrauche zu Michaelis sein neues 
Amt antreten sollen. Aber Scharlacherkrankungen bei seinen 
Kindern und eigenes Halsleiden hielten ihn den Winter zurück. 
Zuletzt verweilte er noch einige Wochen bei seiner Mutter in 
Bamberg. 

^* Zu S. 31. Die medicinische Klinik der Berliner Universität 



*) Bach a. a. 0. S. 23. 



«6 

war Zuerst nach ihrer Begründang 1810 an Beil, der mit der dnrch 
Napoleon yerfügten Aufhebung der Universität Halle sein Lehr- 
amt verloren hatte , übertragen , und in dem Hause Friedrichs- 
strasse 101 eingerichtet worden*). Beil starb bald am Kriegs- 
typhus, und erst 1815 wurde bei der Berufung von Berendsans 
Breslau die Anstalt neu in der Ziegelstrasse 5—6 hergestellt. 
Berends starb 1826; nach seinem Tode führten Sundelin und 
y. Stosch eine Zeit lang provisorisch die Klinik, bis Bartels 
aus Marburg 1828 eintrat. Er hat das Verdienst, die Verlegong 
der Anstalt in die Charit^ bewirkt zu haben (1828), wo bis dahin 
nur eine Klinik der Militär -Akademie (die nachher sogenannte 
deutsche Klinik) bestanden hatte. Aber er hielt, wie sein Vor- 
gänger, die Klinik in lateinischer Sprache und in dem alten dog>- 
matischen Styl; ja er war so sehr in diese^Weise eingdebt, dass, 
wie er selbst erzählt hat, er sogar „lateinisch träumte''. Nach 
seinem Tode wurde Schönlein berufen, und man begreift, welche 
Aenderung sein Erscheinen herbeiführte. Schon sein Empfimg 
war ein ganz ungewöhnlicher. Am 6. Mai 1840 eröffnete er seine 
klinischen Vorträge in der Charit^. Schon vor 11 Uhr, dem ge- 
wöhnlichen Anfangstermine, war der Baum der lateinischen Klinik 
so überfüllt, dass man sich in den amphitheatralisch gebauten 
chirurgischen Operationssaal begab, der schnell bis zur Decke ge- 
füllt wurde. Schönlein erschien in Dieffenbach*s und an- 
derer Freunde Begleitung und wurde mit lautem Zuruf empfangen. 
In seiner Antrittsrede suchte er die ausschweifenden Erwartung«!, 
die man auf seine Wirksamkeit gesetzt habe, zu massigen, und 
bezeichnete als das Ziel seines Wirkens die Bückkehr der Mediein 
zu dem Bündniss mit den Naturwissenschaften und der Phi- 
losophie. 

Wenige Tage nachher, am 10. Mai wurde ihm im Jagor'scheii 
Saale ein Festessen gegeben, bei dem Joh. Müller als Prorector 
den Toast ausbrachte. Die Studirenden veranstalteten gleichzeitig 
einen Fackelzug mit Musik und schickten eine Deputation zu dem 
Festmahle. 

^^ Zu S. 31. Die Beziehungen zum Hofe eröffneten sich un- 



*) B. Köpke. Die Gründung der K. Friedrich -Wilhelms - Uni- 
versität zu Berlin. 1860. S. 257. 



87 

gemein schnell; die schwere Erkrankung des EC^nigs Friedrich Wil- 
lielm III. führte sie ganz natürlich herbei. Am Morgen des 
3. Juni hatte der seit 14 Tagen an der Grippe leidende KOnig 
einen Ersticknngsanfall gehabt. Zu seinen beiden Leibärzten 
V. Wiebel und Grimm wurde Schönlein als consultirter 
Arzt zugezogen. Die ganze königliche Familie sammelte sich um 
das Krankenbett, selbst die Kaiserin von Knssland traf ein. Es 
war natürlich, dass Aller Blicke sich auf SchOnlein, den be- 
rühmtesten Arzt seiner Zeit, wendeten. Auch das Vertrauen des 
Königs selbst, der sonst so unzugänglich war und der sich vor 
jeder neuen, namentlich körperlichen Berührung scheu zurückzog, 
wurde für ihn gewonnen. Aber die Kräfte des Kranken schwan« 
den sehr schnell und schon am Nachmittage des 7. Juni, des Pfingst- 
Sonntages, erfolgte der Tod. Schönlein trat für längere Zeit 
wieder in seine einfache Stellung zurück, aber im Herbst 1842 
nach dem Tode Bust's nahm er definitiv die Stelle als Leibarzt 
Friedrich Wilhelm*s IV. an und begleitete den König alsbald (Sep- 
tember) auf seiner Huldigungsreise nach dem Rhein und nach 
Neuenburg. Seit dieser Zeit nahm der Hofdienst ihn häufig in 
Anspruch. Anfangs scheint er dabei nicht ganz frei von einer 
Neigung zu politischem Einflüsse gewesen zu sein, wenigstens war 
er es, der die vielbesprochene Zusammenkunft zwischen dem Kö- 
nige und Herwegh vermittelte. Später hielt er sich mehr zu- 
rück, indess galt er doch, gleich Alexander v. Humboldt, 
stets als ein Vertreter liberaler Anschauungen. Es ist bekannt, 
obwohl hier nicht näher zu behandeln, wie sich darnach auch die 
persönlichen Beziehungen zu den verschiedenen am Hofe vertrete- 
nen Richtungen sehr verschieden gestalteten. Namentlich war 
dies der Fall, seitdem die Geisteskrankheit des Königs ein ent- 
schiedenes Eingreifen der Aerzte in die Geschicke des Staates 
gebot. Bach*) sagt darüber: „Aeusserst delikat wurde die Si- 
tuation der Aerzte des Königs in seiner letzten Krankheit, da von 
ihrem sachverstandigen Gutachten zunächst die Entscheidung der 
wichtigsten staatsrechtlichen und politischen Fragen abhing. Es 
ist hier nicht der Ort, auf diese Dinge näher einzugehen; nur so 
viel sei bemerkt, dass Schönlein's Charakter sich auch hier 



♦) Bach a. a. 0. S. 2G. 



d8 

wieder glänzend bewährte. Er war nur Ehrenmann nnd nicht 
Hofmaun, mir Arzt und nicht Diplomat oder Politiker. Zwar wurde 
ihm daftlr von der Partei, die damals gern noch länger im Namen 
nnd unter der Firma des geistig unfreien Königs in ihrem eigenen 
Sinne und Interesse fortgewirthschafket hätte, wenig Dank und 
schlechte Anerkennung, ihm aber blieb das stolze Bewustsein 
redlieh erfüllter Pflicht, und aufrechten Hauptes konnte er von 
dannen ziehen." 

Schönlein*s gesellschaftliche Beziehungen erlangten in 
Berlin im Allgemeinen nicht die Ausdehnung, wie sie bei der 
grossen Stadt, und nicht die Innigkeit, wie sie nach seiner früheren 
Lebensweise zu erwarten war. Ich berühre hier nur die beson- 
ders nahe Beziehung zu dem inzwischen auch gestorbenen Meyer- 
beer und dessen Familie. Im Uebrigen blieb Schön lein stets 
in einer gewissen Verbindung mit den katholischen Kreisen, wie 
er denn zu den eifrigsten und thätigsten Unterstützem des neu 
errichteten katholischen Krankenhauses gehörte. 

^' Zu S. 32. Die von Güterbock*) herausgegebenen klini- 
schen Vorträge beziehen sich hauptsächlich auf die ersten beiden 
Jahre (1840—1842) der Berliner Lehrthätigkeit. Sie enthalten 
wesentlich casnistisches Material, nehmlich 42 auserlesene Fälle, 
welche in ihrem Verlaufe genauer dargelegt werden. Die Bemer- 
kungen des Lehrers über Diagnose, Prognose und Kur, über 
Pathogenie und Aetiologie schliessen sich meist an die einzelnen 
Krankheitstage an, werden aber auch mehrfach in zusammenhän- 
gender epikritischer Darstellung angefügt. Am Schlosse des 
Werkes findet sich eine Reihe mehr aphoristischer Ausführungen 
über einzelne, besonders interessante Punkte. Es ist dies die 
einzige grössere nnd mehr zusammenhängende, ich möchte sagen, 
illustrirende Darstellung der Schön lein* sehen Methode klinischer 
Thätigkeit, und obwohl Schön lein seihet nach der Versicherung 
von Siebert**) keinen unmittelbaren Antheil an dem Werke ge- 



*) Schönlein's klinische Vorträge in dem Charit^-Krankenhause 
zu Berlin. Redigirt und herausgegeben von Dr. L. Gflterbock. 
Berlin 1842. 480 S. 

**) A. Siebert. Schönlein's Klinik und deren Gegner. Erlan- 
gen 1843. S. 15. 



89 

nommen hat, so wird es doch immer ein interessantes Document 
fAr diejenigen bleil»en, welche die Richtung des berQhmten Arztes 
in der eigentlichen Praxis kennen lernen wollen* Nur muss mau 
sich nicht über die Natnr des vorliegenden Stoffes täuschen. Wie 
alle solche, nur von einem unbetheiligten Beobachter, der doch 
nirgends als selbständiger Dai-steller auftreten will, verfassten Be- 
richte, sind auch diese keinesweges geeignet, ein volles Bild^ ins- 
besondere der Untersuchung zu geben. Es fehlt der Kränke, 
der leibhaftig vor dem Kliniker und seinen Schfllism liegt, es fehlt 
die Anschauung, welche an und für sich so viel Material fiQr das 
ürtheil liefert, es fehlt der wirkliche Vorgang der diagnostischen 
Technik. Der Leser bekommt daher ein bald unklares, bald 
schiefes Bild, und so sehr ich auch die Sorgfalt des Herausgebers 
als unparteiischen Berichterstatters anerkennen muss, so kann ich 
doch, da ich während eines Theiles der in Frage kommenden 
Zeitperiode selbst den klinischen Unterricht besuchte, nicht umhin, 
zu behaupten, dnss der Eindruck, welchen dieser Unterricht un- 
mittelbar gewährte, ein wesentlich anderer war, als derjenige, 
welchen das Lesen der gedruckten Vorträge hervorbringt. Ein 
einziger Fingerzeig auf ein vorliegendes Object ist ofk mehr werth, 
als eine lange Beschreibung, und wenn nun gar die Beschreibung, 
wie es in einem demonstrativen Unterricht meist der Fall ist, 
kfirzer ausfällt, so erscheint dem Leser möglicherweise die ganze 
Methode mangelhaft und Ifickenhaft. Aus eigener Erfahrung 
weiss ich, wie schwer es selbst sehr befähigten Zuhörern wird, 
wenn sie nicht die eigene Beschreibung mit der des Lehrers ver- 
mengen wollen, einen demonstrativen Vortrag so wiederzugeben, 
dass der Bericht nur einigermassen dem wirklichen Hergange ent- 
spricht. Der Fehler, eigentlich nur das zu wiederholen, was 
Schön lein wirklich gesagt oder gar ausführlicher entwickelt 
hatte, haftet auch dem Buche des Hm. Güterbock an, und die 
Kritiker, welche daraufhin ihre Angriffe gegen Schönlein ge- 
richtet haben, fanden daher leichtes Spiel, ihre Ueberlegenheit 
darzuthun. 

Ungleich deutlicher erkennt man den wissenschaftlichen Cha- 
racter des Meisters aus den vielfachen Anregungen, welche er den 
in seiner Klinik angestellten jüngeren Männern ertheilte. Aus 
meinen früheren Mittheilungen ist schon hervorgegangen, dass es 
namentlich mikroskopische und chemische Untersuchungen waren. 



90 

auf welche er von Anfang an seine Aufmerksamkeit gerichtet 
hatte. Seine Liehrer nnd nachmaligen Collegen Döllinger und 
Pickel brachten ihn früh auf diese Bahn, obwohl sie selbst nie- 
mals eine eigentliche Anwendung auf die medicinische Praxis ver- 
sucht hatten. Das Mikroskop hatte Schönlein bis zu seiner 
Berliner Zeit meist selbst gehandhabt; fßr die chemischen ünter- 
suchqngen hatte er in WQrzburg theils Heller, theils befähigte 
Apotheker herangezogen, sich auch wohl an Gmelin in Freiburg 
gewendet; in Zürich war ihm Hr. Löwig hülfreich gewesen, von 
dem wir namentlich eine Analyse des Secretes bei Elephantiasis 
lactiflua scroti besitzen*). In Berlin vereinigte zuerst der ver- 
diente, leider so früh verstorbene Franz Simon beide Auf- 
gaben, sowohl die mikroskopische, als die chemische. Seine Unter- 
suchungen aus der Schön lein 'sehen Klinik finden sich theils in 
seinem grossen medicinisch - chemischen Werke, theils in einzelnen 
Aufsätzen in Mü 1 1 e r*s Archiv und in seinen eigenen „Beiträgen" ♦*). 
Ganz besonders waren es genauere Harnuntersuchungen, welche 
in Angriff genommen wurden. Sowohl die sogenannten kritischen 
Ausscheidungen, als namentlich die Albuminurie und die Geschichte 
des Morbus Brightii traten dabei in den Vordergrund; die soge- 
nannten Harncy linder wurden gefunden und ein Gegenstand der 
regelmässigen Beobachtung. 

Nach dem Tode von Simon (1843) übernahm Hr. Remack 
die mikroskopischen, Hr. Heintz die chemischen Untersuchungen. 
Ersterer hat die hauptsächlichsten Ereignisse aus der Zeit von 
Michaelis 1843 lis Ostern 1845 in einer eigenen Schrift ♦♦♦) ver- 
öffentlicht. Sie veranschaulicht die Gegenstände, welche damals 
das Interesse vorzugsweise in Anspruch nahmen. Ich erwähne 
nur die. immer grösser werdende Aufmerksamkeit auf den 



*) F. Koller. Diss. inaug. de lactis e scroto secretione anomala. 
Turici 1S33. — Yirchow. Die krankhaften Geschwülste. Berlin 
1863. Bd. I. S. 323. 

**) Jph. Franz Simon. Handbuch der angewandten medic. 
Chemie. 2 Bände. Berlin 1840—1842. — Beiträge zur physiologischen 
und pathologischen Chemie und Mikroskopie. Berlin 1843. — Müller's 
Archiv. 1843. S. 28. 30. 

♦♦♦) R.- Remack. Diagnost. und pathogenet. Untersuchungen. 
Berlin 1845. 



91 

AoBwnrf, Welche schon früher*) zu dem Aufßnden der sogenannten 
croapOsen Spnia (Bronchialgcrinnsel) im Laufe der Pneumonie 
gef&hrt hatte! 

Mit dem Eintritte des Hm. Traube, welche unter der Ein- 
wirkung der durch die März-Bevolution von 1848 erfolgten Ver- 
änderungen im Ministerium möglich wurde, gewann Schönlein 
einen eigentlichen klinischen Assistenten aus dem Civil, während 
bis dahin noch der Militär -Medicinalstab alle unterärztlichen und 
Assistentenstellen in der Charite mit jungen Militärärzten besetzt 
hatte. So selbständig auch die mehr zur experimentellen Con- 
irole und zur strengsten methodischen Beobachtung geneigte 
Richtung des Hm. Traube war, so hat doch auch er von Schön- 
lein wichtige Anregungen aufgenommen. Ich erinnere nur an 
die Untersuchungen über die Digitalis -Wirkung, welche ohne die 
alte Vorliebe Schön lein 's für dieses Mittel und ohne den häu- 
figen Gebrauch desselben in der Klinik vielleicht kaum entstanden 
wären. Auch waren es die Lieblingskrankheiten Schönlein's, 
Typhus und Pneumonie, welche den Hauptgegenstand der Unter- 
suchung bildeten**) und welche hier zuerst, nach dem Vorgange 
von G. Zimmermann, mit dorn Thermometer in der Hand ver- 
folgt wurden. 

^ Zu S. 32. Ich darf an dieser Stelle wohl einige Bemer- 
kungen über mein persönliches Verhältniss zu Schön lein ein- 
schalten. ObwoW ich mich, Hm. Wunderlicirs falschen Angaben 
gegenüber, schon früher***) darüber ausgesprochen habe, so kann 
dies doch jetzt offener geschehen, als da der eine der Betheiligten 
noch unter den Lebenden weilte. — Ich verliess das Gymnasium 
gerade, als Schön lein den Ruf an die Berliner Hochschule an- 
nahm, zu Ostern 1839. Da ich meine medicinischen Studien in 
Berlin machte, so habe ich auch das Glück gehabt, den neuen 
Professor noch in seiner frischesten Zeit zu hören, und ich er- 
kenne dankbar an, dass ich die mächtigste Anregung von ihm 
erhalten habe. Die theoretischen Vorlesungen über specielle 



*) Gflterbock a. a. 0. S. 468. 

**) L. Traube. Annalen des Charit^ - Krankenhauses zu Berlin. 
1850. Jahrg. I. S. 244, 436, 622. 

***) Virchow. Archiv f. pathol. Anat., Phys. u. klin Medicin. 
1858. Bd. XV. S. 393. 



93 

chemische, auszuführen beauftragt sei, hatte sich im Ganzen fQhl- 
bar gemacht, und von Seiten des Militär-Medicinalstabes, der, wie 
erwähnt, damals noch sämmtliche niederen ärztlichen Stellen be- 
setzte, wurde ich im Jahre 1844 dazu in Vorschlag gebracht. 
Schön lein widerstrebte dem, und zwar in so weit mit Erfolg, 
als für seine Klinik die Herren Kemak und Heintz bestätigt 
wurden, während mir die Aufgabe gestellt wurde, den anderen di- 
rigirenden Aerzten und Klinikern zur Hand zu sein. Gleichzeitig 
übernahm ich die Assistenz an der pathologisch-anatomischen An- 
stalt unter K. Froriep. Als jedoch dieser zu Ostern 1846 seine 
Demission nalim und' mich als seinen Nachfolger in Vorschlag 
brachte, erneuerte sich der Coniiikt. SchOnlein, der als vor- 
tragender Rath im Ministerium eine wichtige Stimme bei der Be- 
setzung hatte, bevorzugte andere Candidateu und entschloss sich 
nur schwer, nachzugeben. Eines Tages aber Hess er mich zu 
sich einladen und sagte mir, er habe jetzt dem Minister den Rath ge- 
geben, mich anzustellen. Er fügte hinzu, dass er von mir das Beste- 
boffe, und dass ich aus seinem Verfahren ersehen werde, dass es 
ihm stets um die Sache, und nicht um die Personen zuthun sei. 

In der That gestalteten sich von da an unsere Beziehungen 
auf das Freundlichste. Ich hatte als Prosector die klinischen 
Sektionen zu machen. Schönlein, der fast immer zugegen war, 
zuweilen im Festkleide, mit dem er unmittelbar nachher zu Hofe 
fahren wollte, nahm den regsten Antheil an den Untersuchungen, 
und erwies sich stets geneigt, neue Erfahrungen anzunehmen und 
zu verwerthen. Noch kürzlich bin ich daran erinnert worden, wie 
er einstmals im Jahre 1848, als ich in einem Falle, wo er eine 
hämorrhagische Apoplexie erwartet hatte, eine Embolie der Him- 
arterien nachwies, halb ärgerlich und halb freundlich ausrief: 
„Sie sehen auch überall Barrikaden.'* 

Immerhin beschränkte sich unser Verkehr auf die Begegnun- 
gen am Loichentisch. Als ich im Jahre 1849 wegen meines Ver- 
haltens bei den politischen Wahlen zuerst meiner Stelle als Pro- 
sector enthoben und nachher nur mit grossen Beschränkungen 
wieder eingesetzt wurde, verhielt er sich passiv, und als ich kurze 
Zeit nachher den Kuf nach Würzburg erhielt und ihn um Kath 
anging, da war sein schliesslicher Entscheid: „Setzen Sie sich 
nicht zwischen zwei Stühle.'* Es ist also unrichtig, wenn man 
annimmt, dass er auf diese iJerufnng Einfluss geübt hätte. In 



94 

München hatte er damals noch keinen Einfluss wiedergewonnen, 
und bei der Würzburger Facultät war es Hr. y. Nadherny, der 
damalige Protomedicns von Böhmen and Schwiegervater Ki w i s c h 's, 
der meine Berufung zuerst in Anregung gebracht hatte. 

Ich verliess Berlin im Herbst 1849 und trat in die Würzbur- 
ger Facultät ein. Hier waren die Erinnerungen an Schönlein 
noch äusserst lebendig. Da war noch der Senior der Facultät, 
der alteTextor, derSchönlein's Lehrer, College und Leidens- 
gefährte gewesen war; da waren seine Schüler, vor Allen Marcus, 
sein unmittelbarer Nachfolger. Mein Vorgänger, Beruh. Mohr, 
war Schönlein's Assistent gewesen, und das alte Anatomie- 
Gebäude, in dem ich nuif arbeiten musste, war noch in demselben 
Zustande, wie es Schönlein als Student, Privatdocent und Pro- 
fessor so viel besucht hatte. Ein anderer Assistent von ihm, 
Job. Bapt. Herz war inzwischen der erste Praktiker in der 
Stadt geworden, und jedermann verehrte in ihm den selbst mit 
reicher Erfahrung geschmückten Schüler des allbekannten Meisters. 
Die nächsten Verwandten der verstorbenen Frau Schönlein, na- 
mentlich ihr Bruder, Dr. Heffner (gegenwärtig Gerichtsarzt zu 
Klingenberg am Main), der mein Studiengenosse in Berlin gewesen 
war, lebten in Würzburg. Immer noch galt Schönlein als der 
Vertreter des Liberalismus, und immer noch waren seine Feinde, 
Hr. V. Bings eis und die Ultramontanen mächtig in Bayern. Auch 
gegen meine Berufung hatten sie, namentlich in ihrem Hauptorgan, 
den historisch-politischen Blättern, mit allen Kräften gearbeitet. 

Freilich änderte sich das Verhältniss bald. Hr. v. Ringseis 
erhielt, wie er selbst sagt, eine „uuerbetene und unverdiente Musse'S 
und Schönlein's Schüler und Landsmann , Hr. Pfoufer, wurde 
medicinischer Kliniker und Obermedicinalrath in München. Der 
Zorn des Hrn. v. Ringseis fiel auch auf mich der ich ihm nur 
ganz gelegentlich in einem Leitartikel des Jahres 1849 eine bei- 
läufige Bemerkung gewidmet hatte, und ich sah mich*) genöthigt, 
mich einem heftigen Anfall von ihm**) gegenüber energisch zu ver- 
theidigen. Mehr und mehr gestalteten sich die Dinge so, dass 
Schönlein's Freunde auch meine Freunde, seine Feinde auch 
die meinigen wurden. 

*) Virchow. Archiv f. path. Anat. und Physiol. 1854. Bd.VH. S.4. 
**) Dr. von Ringseis's Erwiderung auf eine Recension in der 
Zeitschrift der k. k. Gesellschaft der Acrzie in Wien. S. 5. 



95 

Trotzdem entwickelte sich daraus kein persönliches Yerhält* 
niss. Ich besuchte ihn gelegentlich in Berlin; er schickte mir 
gelegentlich eine seltenere epidemiologische Schrift über Unterfran- 
ken. Den einzigen Fall, in dem feinere Beobachter den „Schatten 
eines kommenden Ereignisses'* zu entdecken glaubten, bildet ein 
offener Brief*), den ich im Januar 1855 an Schönlein richtete und 
in dem ich die damals aufgetauchten Theorien über Cholera-Gon- 
tagium, sowie über Leucin und Tyrosiu einer Besprechung unter- 
zog. Sowohl Hr. Pfeufer, als Hr. Wunderlich sahen darin 
eine Bewerbung um eine Berliner Professur. Zur Beruhigung 
dieser Herren will ich hier wiederholen, dass diess ein Irrthum 
war. Zwischen Schön lein und mir ist niemals, weder direkt noch 
indirekt, über eine solche verhandelt worden ; ja es ist nicht ein- 
mal richtig, dass er au meiner späteren Berufung einen herror- 
ragenden Antheil genommen hat. Form und Adresse meines 
Briefes erklären sich sehr einfach. Hr. von Lieb ig hatte seinen 
ersten Brief über die Cholera nach London, Hr. Fr er ich s den sei- 
nigen über Leucin und Tyrosin nach Wien gerichtet; ich hatte um 
so mehr Grund, den meinigen nach Berlin und gerade an den er- 
fahrensten Kliniker und Epidemiologen Deutschlands, an Schön- 
lein zu adressiren, als die Cholerafrage in Würzbürg ganz speciell 
mit seinem Namen in Verbindung gebracht war. 

Im Jahre 1856 erfolgte meine Rückberufung nach Berlin auf 
den einstimmigen Vorschlag der Facultät, namentlich unter Johan- 
nes Müller 's thätigster und liberalster Mitwirkung. Ich trat 
in die Facultät, in der fast alle Mitglieder meine Lehrer gewesen 
waren, und in der keiner meiner Studiengenossen sass. Es ist 
noch nicht an der Zeit, die innere Geschichte der Facultät zu 
schreiben, aber ich kann wohl sagen, dass es kaum eine Frage 
gab, in der nicht Schön lein *s Meinung und die meinige zusam- 
mengingen, selbst wenn es sich uro „dissentirende Voten'* han- 
delte. Der einzige, wesentliche Differenzpunkt trat ein, als (wenn 
ich nicht irre, 1858) Hr. W^olff seine Demission von der „deut- 
schen Klinik'^ gab und diese ohne eingeholtes Votum der Facultät 
an Schönlein mitübertragen wurde. Ich beantragte damals eine 
Beschwerde bei dem Ministerium und setzte die Nothwendigkeit 
zweier stationärer Kliniker an einer so grossen Universität ans- 



* Deutsche Klinik 1855. Nr. 4. 



96 

einander. Schönlein schnitt die Berathang damit ab, dass er 
sich seinerseits über den Minister beschwerte, der diese Einrichtung 
getroffen habe, ohne ihn officiell zu ft-agen, da er doch durch 
königliche Cabinetsordre berechtigt sei, über jede Neuerung an 
den medicinischen Facultäten des Landes mit seiner Ansicht gehört 
zu werden. Er hatte momentan gesiegt, aber der etwas diplo- 
matische Sieg trug ihm nachher keine sflssen Früchte ein. Denn 
es dauerte nicht lange, da zog er es vor, seinerseits die Demis- 
sion zu geben. Ich war noch bei der Deputation, welche beauf- 
tragt war, ihm das von den Aerzten Berlins gewidmete Erinne- 
rungsgeschenk zu überreichen. Dann verliess er Berlin und ich 
habe ihn nicht wieder gesehen. Wohl aber weiss ich, dass er 
meiner freundlich gedachte, und ich darf wohl zum Schlüsse dieses 
persönlichen Excurses erzählen, dass er mehrmals, wenn er eine 
Schrift von mir der Bamberger Bibliothek schenkte, mit einer 
gewissen Betonung hinzugefügt hat: „er war mein Prosector.'' 

" Zu S. 33. Ueber Schönlein 's Leben und Weise in Berlin 
giebt es ein Paar Notizen, die jedoch sehr untergeordneter Natur, 
zum Theil nicht einmal sicher sind. Die eine steht in einem von 
Siebert unter dem Pseudonym Korn feger*) veröfifentlichten 
Buche; die andere, ganz unzuverlässige, in den Memoiren von 
Herczegy**), für den es gewiss charakteristisch ist, dass er 
unter Anderm berichtet, wie Schönlein ihm „die eben so geist- 
reichen als bescheidenen Worte'' in sein Album geschrieben habe : 
Rp. Spiritus sancti q. s. Detur. — Ich bemerke hier zu der Dar- 
stellung im Text meiner Rede nur noch, dass man Schön lein 
zuweilen den Vorwurf der Habsucht und Grobheit gemacht hat. 
Beides ist unrichtig. Ein Mann, der so fürstliche Geschenke an 
wissenschaftliche Anstalten machte und der so grosse Einnahmen 
hatte, kann nicht habsüchtig gewesen sein. Schönlein war in 
Berlin viel beschäftigt, von nicht mehr grosser Rüstigkeit des 
Körpers und von Natur zu ein^m behaglichen, mehr ruhigen Leben 
geneigt. So kam es, dass er freilich den zahlreichen und oft un- 



*) Korn feger, Stuben- und Reisebilder eines phantastischen 
Mediciners. Bamberg 1838—42. 

**) Mor. Herczegy. Memoiren aus dem Reisetagebuch eines 
ungarischen Arztes mit besonderem Hinblick auf Oesterreich und 
Ungarn, wie es war und provisorisch ist. Wien 1850. S. 48. 



terschimten AneprOchen, die an ihn gemacht wnrdeii, nicht immer 
taitflprach und entsprechen kannte, und wenn hervorragende Per- 
BOnlichkeiten ihn leichter bestimmten, aue seiner Ruhe hervorzu- 
treten, so gibt ee dafür ^ewlsa andere psychologische Gründe, als 
Habsucht. Denn es ist sicher, dass der Reichthum allein ihn nicht 
SD gewinnen vermochte. Der Vorwurf der Qrobheit ist vielleicht 
weniger unbegrOndet. Indess scheint er sich doch lianptsSchlich 
auf die bekannte Anekdote zu stützen, dass er einmal einem älteren, 
sehr von seiner Erfahrung eingenommenen Arzte, der sich bei 
einer Consultation auf diese Erfahrung berief und nach einer hef- 
tigen Erörterung auf seine grauen Haare hinwies, gesagt haben 
■oll: „Auch die Esel sind grau." Aber die Dichtigkeit dieser 
Anekdote ist nicht ganz ausser Zweifel. 

Das allgemeine Urtheil der Berliner CoUegen haben QOschen*) 
and Poaner") in ihren Nachrufen ausgesprochen. 

^ Zu S. 3:}. Die Stellung als vortragender Rath im Hiniste- 
rinm der geistlichen, Unterrichts- und Uodictnal-Angelegenheiten 
erhielt Schonlein 1841- Er Qbernahm sie unter der ausdrQck- 
. liehen Zusicherung, dass sein Votum bei allen die medicinischen 
Fscnltäten betreffenden Angelegenheiten eingeholt werden solle. 
Der Titel des Geheimen Ober-Hedicinalrathes , der ihm 1857 er- 
theilt wurde, brachte in seine amtliche Stellung keine Aenderung. 
Eb war immerhin ein sehr bedenklicher Umstand , dass derselbe 
Mann zugleich Professor, vortragender Kath im Ministerium und 
Leibant des Königs war. Unter dem Ministerium Altenstein 
hatte man einer solchen Cumulation stets entgegen gearbeitet, 
denn die frühere Erfahrung hatte gelehrt, was sich ja von vorn- 
herein Qbersehen läset, dass der Einlluss eines solchen Mannes 
leicht über das Ministerium und die Pacultäton zugleich hinaus- 
wächst. Wenn bei Schßnlein diese Gefahr nicht ganz zutraf, 
Bo ist ihm das als ein besonderes persönliches Verdienst zuzu- 
schreiben. Kr war in Personen fragen in der That sehr unbefan- 
gen, nnd was die sachlichen Angelegenheiten betrifft, so liebte er 
das Aktenwesen sehr wenig, und manches Aktenstock wanderte 
daher einfadi mit einem Vidi versehen zurück, ohne dass er 
irgendwie den Versuch gemacht hätt«, sich auf Grund desselben 
ein Urtheil zu bilden. Man mag das als eine gerechte Aversion 




99 

in der medicinischeu Literatur wiedergefunden wird, sowohl gegen 
die Schüler, als gegen den Meister. Von der Schule sagt er 
(S. 547): „Die sich geberden, blos mit Nektar und Ambrosia 
sich genügen zu lassen , sie stopfen mit Disteln und Stoppeln, wie 
die Majorität der Säugethiere, zu denen nach den meisten Natur- 
. forschem auch der Mensch gehört, ja mit Dalai-Lama-Koth sich 
voll zum Zerplatzen/* Zum Abschiede wendet er sich dann an 
den „Grossfürsten medicinischer Wissenschaft" mit den Worten: 
„Ausserordentlicher Mann ! Zögern Sie nicht länger mit der Her- 
ausgabe Ihrer wahrhaftigen Lehren; Ihre Bescheidenheit und 
Selbstverläuguung , wodurch Sie uns das Herrlichste vorenthalten, 
grenzt, dem hungernden und durstenden, ja verhungernden und 
verdurstenden Publikum gegenüber, beinahe an's Grausame. Lassen 
Sie uns nicht völlig verhungern und verdursten, zeigen Sie zugleich 
Ihren neidischen, kleinlichen Gegnern, dass Ihr Ruf nicht ein von 
Studenten und Liberalen gemachter; schlagen und beschämen 
Sie alle Zweifler an Ihrer Grösse mit der Ihnen einzig eigenen 
genialen Grobheit, die nur Neider und Pygmäen in diesem Genre 
eine „genial seyn sollende" nennen ; widerlegen Sie das Ihnen an- 
gedichtete Mährchen von einem zerebralen und gangliösen Typhus; 
zeigen Sie, dass mehrere, unter Ihrer wirklichen Firma, z. B. in der 
Leipziger medicinischeu Zeitung, erschienene, leichtfertige Be- 
hauptungen als Ihrer unwürdig, nicht von Ihnen seyn können. 
Denn welcher Anfänger in der Medicin wäre so unwissend, wie 
der Verfasser der unter Ihrem Namen gemachten kategorischen 
Aeusserung, dass die Zunge in Exanthemen rauh und im Nerven- 
fieber glatt sey, da jeder weiss, dass sie sowohl in Exanthemen 
als Nervenfiebern bald glatt und bald rauh, oder theilweise glatt 
und theilweise rauh zugleich sei. Oder vielmehr zeigen Sie, dass 
Sie, mächtiger als jener mächtige Kaiser, der das femininum zum 
masculinum stempeln wollte, dass Sie als unumschränkt gebieten- 
der medizinischer Kaiser Geschehenes ungeschehen und un- 
geschehenes geschehen zu machen vermögen!" 

Schönlein sprach sich in den Prolegomena zu seinen Vor- 
lesungen im Winter 1841 — 1842 über die sogenannte christliche 
Medicin sehr offen aus. Was früher nur in Conventikeln leise be- 
sprochen sei, das sei nun an das Licht der Sonne getreten. Der 
die eherne Stirn gehabt, sei der Königlich Bay rische Ober-Medi- 
cinalrath von Kings eis, der ihn als medicinischeu Orossfürsten ' 

7* 



100 

und medicinischen Dalai-Lama begrüsse, selbst aber der Autorität 
des medicinischen Papstes vorarbeite. Könne die Medicin wirklich 
nur in Verbindung mit der „Kirche**, d. h. der römisch-katholi- 
schen, gedeihen, so würden bald Bullen von jenseits der Alpen 
kommen müssen, wie man die Syphilis kuriren solle. Sei es 
richtig, dass Adam und Eva die pathogenetischen Elemente waren, . 
durch deren Appetitus spurii mit der Erbsünde auch die Krank- 
heit in die Welt gekommen, so sei es allerdings consequent, beide 
durch die Erlösung in Gestalt der Sakramente zu beseitigen, und 
der erste Act des Arztes am Krankenbette möge, wie Bings eis 
verlange, der sein, dass er die heiligen Sakramente nehme. Aehn- 
liche Tendenzen, die auch in anderen Regionen auftauchten, seien 
so recht geeignet, die wissenschaftlich strebenden Männer zu ver- 
einen, um diesen Zwecken einen Damm entgegenzusetzen. Der 
Arzt sei wohl zu unterscheiden von dem Menschen; die Dogmatik 
auf die Medicin selbst anwenden zu wollen, sei der christlichen 
Bichtung entgegen, denn deren Wesen sei es, den Menschen der 
Dämonen - Natur zu entrücken. Geisterbaunen , Teufelaustreiben, 
Segenssprüche, Gebete und Amulette an das Krankenbett zu tra- 
gen, heisse Spott mit dem Heiligsten treiben und es zur Carri- 
katur machen. Diese perfide Identificirung zweier durchaus 
verschiedenen Dinge sei die unangenehmste Erscheinung der neuesten 
Zeit. Die Begründung der Medicin auf das Evangelium sei eine 
wahre Profanie. Gerade das Christenthum habe den ethischen 
Menschen von dem physischen geschieden, und nun wolle man 
wieder das Dogma, welches das Uebersinnliche verkörpere, in Be- 
rührung mit den körperlichen Zuständen bringen. Natürlich ent- 
stehe daraus nur die Tendenz, diese unterzuordnen, und der Streit 
zwischen Kirche und Staat werde auch auf die Wissenschaft aus- 
gedehnt. 

^» Zu S. 33. Wer sich ein Büd von der Orthodoxie in ihren 
schlimmsten Formen verschaffen will, dem ist zu ratheu, dass er 
die Schriften von Gör res*) und Solbrig**) über das System 

*) J. V. Gör res. Ueber das medicinische System von Ringseis. 
Regeusburg 1841. 

♦*) Aug. Solbrig. Die Gegensätze in der Medicin, erörtert mit 
besonderer Rücksicht auf das System des Hrn. Dr. v. Ringseis und seine 
Gegner. Ein Beitrag zur Geschichte medicinischer Wissenschaft. 
Nflmberg und Fürth 1841. 



101 

Ringseis lese. Ich glaube es dem Andenken Schönlein*s 
schuldig zu sein, hier keinerlei- Citat aus diesen Schmähschriften 
beizubringen, deren Ton jede Erinnerung an die gebildete Gesell- 
schaft verleugnet. Görres, der, wie Sc hon lein sagte, die Ja* 
cobiuerkappe weggeworfen und den Jesuitenmantel umgenommen 
hatte, wetteiferte mit den alten Kapuzinerpredigem in der Wahl 
gassenläufiger Ausdrücke und Bilder. Herr Solbrig, von dem 
Siebert*) damals bemerkte, er sei ein junger Ministrant, dem 
die Weihen abgingen , er sei der Mysterien noch nicht theilhaftig 
und arbeite etwas in den Tag hinein, (meines Wissens derselbe 
Hr. Solbrig, den man kürzlich nach Berlin berufen wollte, um 
dem Irrenwesen aufzuhelfen) schlug natürlich als Protestant einen 
anderen Weg ein, ja er suchte sogar die Hauptsätze von Herrn 
von Ringseis zu vertuschen; seine Polemik steckte sich hinter 
die „Psyche", aber die Sündhaftigkeit der menschlichen Natur 
bildet doch auch bei ihm den Grund der pathologischen Doctrin. 
Sie her t bezeichnet seine Darstellung sehr charakterisch, indem 
er sagt: „Er füllt sein Buch mit mehr als 108 Schimpfworten, 
unter denen sogar einige, die in der Literatur bis jetzt noch nicht 
debutirt haben.** 

*® Zu S. 33. Die Polemik des Ilrn. Wunderlich steht auf 
einem ganz anderen Boden, als die der vorhergenannten Gegner; 
sie ist in keiner Weise zu vergleichen mit derjenigen der bayri- 
schen Orthodoxen. Es ist die Polemik dor wissenschaftlich fort- 
schreitenden Schule. Ich erkenne das gern an. Nichtsdestoweniger 
muss ich sagen, dass ich sie für buchst ungerecht halte. Im An- 
fange freilich hält sie sich in den Grenzen der sachlichen Oppo- 
sition. In der Einleitung zu dem neugegründeten Organ, dem 
Archiv für physiologische Heilkunde, wo als die Aufgabe der 
physiologischen Schule bezeichnet wurde, „den Skepticismus zu 
einem organisirten Systeme zu formen", wendete die neue Schule 
die gunze Macht ihres Geschützes gegen die Ontologie', als den 
eigentlichen Charakter der älteren Medicin und der naturhistori- 
schen Schule insbesondere**). Man schoss mit diesem Angriffe 
über das Ziel hinaus; auch kam man mit dem „zu einem organi- 



*) Siebert. Häser's Archiv 1842. Bd. lU. S. 48. 
**) Archiv für physiologische Heilkunde 1842. Jahrg. I. S. III. 



102 

sirten Systeme geformten Skepticismus'^ zu keinem positiven In- 
halt, aber man war formell im Becht. Ein Jahr später richtete 
Hr. Wunderlich*) einen mehr persönlichen Angriff auf S c h ö n- 
lein bei Gelegenheit einer Kritik des Gü t erb ock*schen Buches. 
Sein Votum lautet so: „Die Bedeutung Schönlein*s für die 
Entwickelung der deutschen Medicin ist ohne Zweifel eine histo- 
risch gesicherte und Referent ist von ihr, so sehr wie irgend Je- 
mand, überzeugt; aber die vorliegenden klinischen Vorträge be- 
stärken die Vermuthung, dass jene Bedeutung bereits der Ver- 
gangenheit angehört/^ Zur Bestärkung wird später**) das überaus 
ungünstige Urtheil eines englischen Journals***) beigebracht. Viel 
schlimmer lautet die Kritik einige Decennien später f). Obwohl 
Hr. Wunderlich zugesteht, dass bei Schonlein mehr und 
mehr die „nüchterne, reelle Richtung, welche mit der Autorität 
sich nicht verträgt, zum Uebergewicht kam", obwohl er hervor- 
hebt, dass schon in der Züricher Periode bei ihm von Krankheits- 
parasitismus nicht mehr die Rede war, obwohl er damit selbst 
Zeugniss ablegt, dass Schön lein nicht authörte, sich im Sinne der 
fortschreitenden Wissenschaft weiter zu entwickeln, so sag^ er 
doch von ihm aus, „der Positivismus, der in Zürich noch bewun- 
dert wurde, sei zu dürftig und unvollkommen gewesen, als dass er 
neben den Fortschritten der Zeit sich noch hätte halten können". 
Ich habe schon früher das Ungerechte dieses Urtheils dargethanft); 
ich kann hier einen Satz des Hm. Wunderlich selbst wieder- 
holen. Er sagt: „Bei der Besserung der übrigen medicinischen 
Zustände minderte sich der Contrast, der der Schönlei naschen 
Klinik bis dahin so viel Bewunderer zugeführt hatte." Nun, wenn 
der Contrast sicli nicht bloss gemindert, sondeni sich ganz und 
gar ausgeglichen hätte, wäre das nicht ein höchst ehrenvolles 
Zeugniss? Wenn ein Kliniker, nachdem er fast 40 Jahre lang 
das klinische Lehramt verwaltet, nachdem er Generation nach 



*) Archiv für physiologische Heilkunde 1843. Jahrgang II. 
S. 290, 305. 

♦♦) Ebendaselbst 1846. Jahrg. V. S. 461. 

**♦) British and foreign med. chir. Review 1846. Jan. 

f) Wunderlich. Geschichte der Medicin. Stuttgart 1869. 
S. 333, 341. 

tt) Mein Archiv. Bd. XV. S. 393. 



103 

Generation an praktischen Aerzten und Klinikern erzogen, nach- 
dem ein Theil dieser Kliniker schon wieder jtüngeren Kräften Platz 
gemacht hat, immer noch eine Klinik hält, welche den Vergleich 
mit anderen Kliniken nicht zu scheuen hat, so sollte gerade der 
Geschichtsschreiber am wenigsten Bedenken tragen, ihm die Palme 
zu reichen. Und dass dieser Vergleich bei Schön lein wirklich 
zutraf, dafür könnte ich Hm. Wunderlich ein sehr competentes 
Zeugniss beibringen, welches ein Leipziger College, der kurz vor 
dem Abgänge Schönlein*s seine Klinik in Berlin besuchte, 
freiwillig ablegte. Uebrigens wies Hr. Wunderlich in einem 
Briefe an mich*) jeden Gedanken ab, dass er mit seinen Worten 
eine Beleidigung habe aussprechen wollen. 

Möge es mir aber erlaubt sein, bei dieser Gelegenheit den 
zuweilen etwas unbilligen jüngeren Kritikern ein Wort des alten 
Philipp V. Walther**) in die Erinnerung zurückzurufen. Er 
sagt : „Ein gefährlicher Zeitabschnitt im Leben des Naturforschers 
ist jener des Alterns, wo er bei allmählich verminderter Energie 
der Geisteskräfte an den raschen Fortschritten der Naturwissen- 
schaft einen weniger thätigen Antheil nehmen und denselben bald 
nicht mehr genugsam folgen kann. Ehemals, wo jene Fortschritte 
langsamer, aber vielleicht eben darum mehr gesichert waren, 
konnte der alternde Geiehrte sich seiner in einem langen thätigen 
Leben angehäuften geistigen Besitzthümer und des durch sie wohl 
erworbenen Ruhmes am Abende desselben erfreuen und ruhig das 
beschlossene Tagewerk jüngeren und rüstigeren Händen übergeben, 
mit der sicheren Aussicht, solches durch diese in fortgehender, 
gleicher Richtung und nach seinen eigenen festgehaltenen Inten- 
tionen gefördert zu sehen. Gegenwärtig ist dem nicht mehr also. 
Die Wissenschaft geht raschen Schrittes vorwärts über die Ge- 
alterten, Ermüdeten und Erschöpften hinweg. Andere ärndten 
auf dem Felde, welches wir urbar gemacht und mit goldenen 
Köniem besaamt haben. Wer ihren raschen Schritt nicht mit ein- 
hält, bleibt bald ungekannt und ruhmlos seitlich am Wege liegen. 
Der alternde Gelehrte ist wie der greise Held zuletzt unvermö- 
gend das Schwert und die Lanze zu schwingen: wenn er von 
seinen ehemaligen Thaten erzählt, findet er kaum einen aufmerk- 



♦) Mein Archiv. Bd. XVI. S. 207. 
**) Wa 1 1 h e r. Rede auf Döllinger. S. 1 05. 



104 

samen Zuhörer; und an den Zustand der Wissenschaft, wie er vor 
40 Jahren gewesen, als er sie zur Pflege übernommen, will Nie- 
mand glauben. Dem vom wahren Geiste der Wissenschaft Erfüll- 
ten ist es tröstlich und erhebend, wenn auf diese Weise seine In- 
dividualitat in einem stets sich mehrenden Lichtmeere untergeht, — 
wenn nur die Sonne der Wissenschaft sich fortbewegt." Ich darf 
wohl hinzusetzen, dass so etwas nur in Deutschland vorkommt. 

^ Zu S. 34. Ausser Wunderlich sind namentlich zu er- 
wähnen Conradi*), Professor in Göttingen, Lehrs und Schar- 
lau ♦♦) in Stettin, Graf***) und Paulif) in Landau. Alle diese 
halten sich hauptsächlich an die einzelnen, von Hrn. Güterbock 
mitgetheilten Fälle, an denen sich bald mit Recht, bald mit Un- 
recht allerlei auszusetzen fand. Obwohl der Ton häufig ein hef- 
tiger und das Urtheil ein unbilliges ist, so muss man ihnen 
wenigstens zugestehen, dass sie sämmtlich eine sachliche Kritik 
zu üben bestrebt gewesen sind. Für die Beurtheilung Schön- 
lein*s liefern sie ein sehr vorsichtig zu benutzendes Material. 

®* Zu S. 34. Siebert aus Nymphenburg studirte Medicin in 
Würzburg, war später praktischer Arzt in Bamberg, starb als 
Professor der medicinischen Klinik in Jena. Er war einer der 
geistreichsten und gewandtesten Pamphletisten jener Zeit. Nach- 
dem er schon früher die biographische Notiz über Schönlein in 
dem Conversations- Lexikon von Brockhaus (1847. Bd. XII. S. 742.) 
verfasst haben soll, vertheidigte er seinen Lehrer zuerst gegen 
R i n g s e i 8 ff), dann gegen G ö r r e s und S o 1 b r i g ttt)> endlich gegen 
Conradi, Lehrs und Scharlau*t). Diese Vertheidigungs- 

*) J. W. H. Conradi. Göttingische gelehrte Anzeigen. 1832. 
Stück 130—136. — Ueber Schönlein's klinische Vorträge. Göttingen 1 843. 
**) Lehrs und Schar lau. Dr. Schunlein als Arzt und klini- 
scher Lehrer aus der Schilderung des Dr. Güterbock einer unabweis- 
baren Kritik unterworfen. Berlin 1842. 

***) Graf. Neue med.-chirurg. Zeitung 1843. Nr. 38 — 40. 
t) Fr. Pauli. Schönlein's klinische Voiinige in dem Charit^* 
Krankenhause zu Berlin kritisch beleuchtet. Landau 1844. 

tt) Sieb er U Die Schlange des Aesculap und die Schlange des 
Paradieses. Häser's Archiv 1842. Bd. II. S. 165. 

ttt) Siebert. Kritik der Gegensätze in der Medicin. Ebendas. 
1842. Bd. m. S. 35. 

*t) A. Siebert. Schönlein's Klinik und deren Gegner, die 
HHr. DDr. Conradi, Scharlau und Lehrs. Erlangen 1843. 



105 

Schriften gehören mit zn den interessantesten Erzeugnissen der 
Zeitgeschichte. Gegen Rings eis ist ausserdem ein lesenswerther 
Artikel der Hallischen Jahrbücher '^) gerichtet, den man hier und 
da, wie es scheint, mit Unrecht Siebert zugeschrieben hat. — 
In dem Streit über die Göterbock'sche Publikation traten für 
Schönlein ausserdem noch auf Richter**) und Stiebel***). 

®^ Zu S. 34. Die Gattin Schönlein*s, Therese war die 
Tochter des um die fränkische Geschichte hochverdienten Regie- 
rnngsrathes H offner in Würzburg. Er hatte sich mit ihr im 
August 1827 vermählt. Sie starb nach einer überaus glücklichen 
Ehe am 13. September 1846 zu Berlin am Typhus , als ihr Mann 
gerade auf einer Reise in Bayern abwesend war. 

®^ Zu S. 34. Philipp Schönlein, der einzige Sohn, war 
am 9. Febr. 1834 in Zürich geboren. Nachdem er das Friedrichs- 
Werdersche Gymnasium in Berlin besucht hatte, bezog er mit 
I5V2 Jahren die Universität. Er studirte in Berlin und Göttingen, 
hanptsächlich Mathematik und Naturwissenschafben, und bereitete 
sich an letzterem Orte für eine grössere wissenschaftliche Reise, 
namentlich in geographischen Ortsbestimmungen vor. Im Jahre 
1855 begab er sich nach England, um sich daselbst in der ara- 
bischen Sprache und über die Verkehrsverhältnisse mit Afrika zn 
unterrichten. Ein Zufall verschaffte ihm die Gelegenheit, mit 
einem kleinen Handelsschiffe, das nach Bonny an der Niger-Mün- 
dung bestimmt war, um daselbst Palmöl zu laden, vor der be- 
stimmten Zeit abzugehen, und ehe er noch die Zustimmung seines 
Vaters erlaugt hatte, segelte er im August von Liverpool ab, 
nachdem er noch mit den Herren Bolle und Seemann ein 
^ndezvous von Sierra Leone aus an der afrikanischen Küste ver- 
abredet hatte. Das Schiff setzte ihn Anfangs September auf Cap 
Palmas an der Küste von Oberguinea ab, wo er sich alsbald mit 
der Sammlung von Pflanzen und Sämereien beschäftigte. An. die 



*) HaUische Jahrbücher 1841. Nr. 131 — 134. Hippocrates in 
der Pfaflenkutte. 

♦♦) C. A. W. Richter. Dr. Schönlein und sein Verh&ltniss zur 
neueren Heilkunde, mit Berücksichtigung seiner Gegner dargestellt 
Berlin 1843. 

***) Stiebel. Häser's Archiv 1842. Bd. UI. S. 532. 



106 

geographische Gesellschaft in London schickte er eine Notiz über 
die Niederlassung freier Neger auf Cap Palmas*), und nach Hause 
meldete er die Absendung einer Pflanzenkiste und seine baldige 
Heimkehr. Aber fast unmittelbar darauf traf auch schon die 
Nachricht seines nach einer sechswöchentlichen Krankheit am 
8. Januar 1856 erfolgten Todes ein. Auf seinen botanischen Ex- 
cursionen hatte er sich den Sonnenstich zugezogen. So ging dieser 
talentvolle und zu den schönsten Hoffnungen berechtigende Mann, 
noch nicht ganz 22 Jahre alt, jämmerlich zu Grunde. 

Die von ihm abgesendete Pflanzenkiste erreichte ihre Be- 
stimmung nicht. Der ganze botanische Nachlass, der sich nach 
seinem Tode vorfand und der an seine Familie gelangte, bestand in 
einigen Sämereien und 14 getrockneten Pflanzenarten. Klotzch**) 
hat diese letzteren beschrieben; es waren 9 neue darunter. Zwei 
davon tragen den Namen Acrolobus Schöuleinii und Gomphia 
Schönleiniana Kl.**^). 

Die Trauerkunde traf die Familie gänzlich unvorbereitet. 
Schönlein befand sich gerade in Bamberg und hatte die 
Absicht , zum ersten Osterfeiertage ein grosses Gastmahl zu 
geben. Da kam am Gründonnerstage die Todesnachricht durch 
eine telegraphische Depesche von Berlin. Die schon gemachten 
Einkäufe wurden den Armen geschenkt und mehrere Wochen lang 
schloss sich der unglückliche Vater von aller Geselligkeit ab. 
Nur der Wohlthätigkeit öffnete sich sein Herz, und es gewährte 
ihm einen gewissen Trost, dies in der alten Form frommer Schen- 
kungen zu thun. Namentlich gründete er zum Andenken an den 
geliebten Sohn reiche Stiftungen in Bamberg. Unter dem21.0ct. 
1856 verschrieb er dem Aufsees'schen Seminar eine Summe von 
fast 10,000 fl. „Zum Gedächtniss meines am 8. Januar 1856 auf 
Cap Palmas in Guinea als Opfer wissenschaftlichen Eifers ver- 
storbenen Sohnes stifte ich hiermit 2 Freiplätze in dem Aufsees- 
schen Seminar, .mit der Willensmeinung, dass für minder bemit- 
telte Studenten aus den Familien S c h ö n 1 e i n oder H e f f n e r die 



*) Proceedings of the Royal Geograpbical Society of London. 
1856. May and June. p. 100. 

**) F. Klotz seh. Philipp Schönlein's botanischer Nachlass auf 
Cap Palmas. Berlin 1867. Taf. HI— IV. 

***) Schon froher hatte Klotzsch (in Hayne's Arzneige- 
wächsen Xiy.) eine Rubiaceen-Gattung Schönleinia genannt 



107 

Zinsbeträge zu 400 fl. ä 200 fl. verwendet werden sollen, der 
Ueberschass am Namenstage meines verstorbenen Sohnes, 1. Mai, 
zu einem Gastmahle fQr die Lehrer und Zöglinge des Instituts ver- 
wendet und für die Buhe meines Sohnes gebetet werde. Die 
Vergebung der Plätze geschieht durch den Magistrat meiner Vater- 
stadt; für die Dauer meines Lebens behalte ich mir die Vergebung 
vor. Der Z<lgling erhalte auch noch ein Taschengeld von 40 fl. 
zur Bestreitung der Leibwäsche, vqn kleinen Bedürfnissen und 
Ferienreisen. Bei etwaiger Aufhebung des Seminars fallen meine 
Stiftungs- Kapitalien dem Stadtmagistrat Bamberg anheim, damit 
daraus Stipendien für Studirende der Stadt Bamberg gemacht 
werden bis zur Universitäts - oder Lycealzeit. 200 fl. sollen so- 
gleich an die Pfarrei St. Gangolf zur Stiftung einer Seelenmesse 
für meinen verstorbenen Sohn Philipp abgegeben werden. Die 
Zöglinge des Seminars, resp. die Stipendiaten sind verpflichtet, für 
den Verstorbenen zu beten." 

Der Krankenkasse des Bamberger Gymnasiums schenkte er 
gleichfalls zum frommen Angedenken an seinen einzigen Sohn 
200 fl. 

®^ Zu S. 34. Ich übergehe diese Vorgänge, da sie noch zu 
frische Verhältnisse betreffen. 

®^ Zu S. 34. Die medicinische Facultät drückte ihm ihr Be- 
dauern in einer feierlichen, lateinischen Urkunde aus. Die Aerzte 
fiberreichten ihm im März 1859 eine kostbare Vase mit folgender 
Adresse, dei-eu Abfassung mir übertragen war: „Mehr als 40 Jahre 
sind dahin gegangen, seitdem der Name Schön lein zuerst in 
die Gedenkbücher der Geschichte der Medicin eingetragen worden 
ist. Das zweite Jahrzehnt ist fast vollendet, seitdem Sie, hoch- 
verehrter Mann, geschmückt mit den Lorbeeren von Würzburg und 
Zürich, unter dem Jubelzuruf alter und neuer Schüler den klinischen 
Lehrstuhl unserer Hochschule zuerst betraten. Alle wissen es, 
und auch die Neider können es nicht leugnen, daös während einer 
so langen Zeit Sie nicht abliesson, jeder Richtung des Forschens 
ein treuer Helfer zu sein, um sie schliesslich der höchsten Auf- 
gabe des Arztes, der Erkenntniss und Heilung der Krankheiten 
nutzbar zu machen. Sie waren es, der das zerrissene Band 
zwischen der Medicin und dem Ganzen der Naturwissenschaft neu 
knüpfte, der die deutsche Klinik mit allen Hülfsmitteln der neuen 
Forschung bereicherte, der das Signal gab zu jenem in der Ge- 



/ 



108 

schichte der Medicin unerhörtem Aufschwünge des Arbeitens, wel- 
cher von Deutschland aus unwiderstehlich alle ärztlichen Schulen der 
gebildeten Welt durchdringt. — Nach einer so langen und ruhmes- 
reicheu Laufbahn, lange genug, um einen weniger kraftvollen 
Mann zu ermüden, immer noch frisch und thätig, haben Sie den 
Entschluss zur Reife gebracht, Ihre Aemter niederzulegen. Wir, 
Ihre Collegen, Ihre Schüler, haben leider kein Mittel, diesen Ent- 
schluss, den wir ehren, ab^r betrauern, zu ändern; wir können 
Ihnen nur sagen, wie schmerzlich wir Sie verlieren, wie sehr Ihr 
erfahrener Rath, Ihr männliches Vorbild uns fehlen wird, in wie 
inniger Verehrung wir Ihrer als des würdigsten Vertreters und 
Schützers des ärztlichen Standes immerdar gedenken werden, wie 
unsere herzlichsten Wünsche Ihnen folgen. — Möge es Ihnen noch 
lange gestattet sein, die Früchte reifen zu sehen, welche Sie mit 
so freigebiger Hand ausgestreut haben! Möge der Dank der stets 
rüstiger fortschreitenden Wissenschaft Ihnen immerfort das frohe 
(lefQhl erneuern, dass Ihr mächtiges Wort es war, das die neue 
Zeit geweiht hat!'* 

^ Zu S. 34. In Bamberg führte Schön lein eine äusserst 
geregelte Lebensordnung. Vor 11 Uhr Vormittags pflegte er sein 
Haus nicht zu verlassen. Er hatte sich dieses in der Nähe des 
Bahnhofes, in der früher Theuerstadt genannten Vorstadt erbauen 
lassen. Wie schon erwähnt, lag es der Pfarrkirche zu St. Gangolf 
gegenüber, in der Königsstrasse, dem früher sogenannten Stein- 
weg. Die gegen die Strasse gekehrte Seite enthält die Gänge, 
während alle Wohnzimmer gegen den Garten und die freie Um- 
gebung der Stadt gerichtet sind. Gleich beim Eintritt gelangt 
man in einen langen hellen Corridor, dessen Wände mit Bildnissen 
berühmter Naturforscher und Aerzte in Broncemedaillons geziert 
sind. Zu ebener Erde liegt das geräumige, reich ausgestattete 
Gastzimmer, in welchem Schonlein es liebte, häufiger eine ge- 
wählte Gesellschaft zu bewirthen ; man geniesst von da eine herr- 
liche Rundsicht auf die Stadt und die fruchtbaren Felder und 
Wiesen, welche ein Arm der Regnitz durchströmt Im mittleren 
Stock das Empfangszimmer, in welchem die von den Berliner 
Aerzten geschenkte Vase steht; daran stossend Schöulein's 
Arbeitszimmer und Schlafcabinet, weiterhin die Familienzimmer. 
Von dem oberan Stock führt eine Stiege auf einen Thurm mit drei 



109 

kleinen Zimmern, von denen aus man einen weiten Ueberblick 
über die schönen Umgebungen hat. 

Das ist das Tusculum, wo der vielgeprüfte Mann sein Otium 
cum dignitate suchte. Seine Tage verliefen hier in ruhiger Ord- 
nung. Morgens von 8 — 10 Uhr pflegte er nach dem Kaffee die 
Augsburger Allgemeine Zeitung zu lesen und ernstere Studien zu 
treiben, von 10—11 Uhr empfing er seine Bekannten. Während 
dieser Zeit wurden ziemlich anhaltend schwere Cigarreu geraucht. 
Um 11 Uhr fuhr er aus, um Besuche zu machen, und wenigstens 
2— 3 mal in jeder Woche erschien er gegen 11^ Uhr in der Biblio- 
thek, um die Novitäten zu mustern, selbst Bücher zu entnehmen, 
und zu bestimmen, was er der Bibliothek schenken wolle. Um 
12^ Uhr fuhr er regelmässig in das Lesezimmer der Harmonie, 
wo er unter anderen die Berliner Nationalzeitung fand , aber auch 
regelmässig die Kreuzzeitung abwartete, die erst mit der Nach- 
mittagspost eintraf. Um 2 Uhr fuhr er nach Hause, ass zu Mittag, 
schlief dann etwas, und um 5 Uhr machte er einen Spaziergang 
ins Freie. Abends blieb er stets zu Hause, im Sommer in seinem 
Garten, wo er sich besonders mit der Pflege des Obstes, der Trau- 
ben und Melonen beschäftigte. Nichts gewährte ihm grösseres 
Vergnügen, als wenn er, wie es fast regelmässig geschah, bei der 
Bamberger Früchteausstellung Preise gewann. 

Sein Steckenpferd während dieser Zeit war Numismatik*). 
Einerseits sammelte er die Medaillen auf Aerzte . uiid Naturforscher, 
andererseits die Bambergischen Münzen, welche er sämmtlich der 
Sammlung des historischen Vereins zuwendete. Auch der grösste 
Theil der diesem Verein gehörigen klassisch-antiken Münzen ist 
sein Geschenk. Weit und breit hatte er seine Commissionäre, und 
er scheute keinen Preis, um seltene Stücke zu erwerben. 

Nächstdem richtete er seine Aufmerksamkeit der Fränkischen 
und Bambergischen Special-Geschichte zu. Dem historischen Ver- 
ein gehörte er als eines seiner ersten Ehrenmitglieder an, und er 
hörte nicht auf, ihm seine eifrigste Pflege zuzuwenden. Er be- 
sachte fleissig die Versammlungen, munterte die Bestrebungen des 
Vereins auf, und mehrte dessen Sammlungen**) Wie er für das 



*) Gutenäcker im 37. Bericht des historischen Vereins zu Bam- 
berg. S. 9 Anm. 

♦♦) Rothlauf a. a. 0. S. 146. 



110 

Naturaliencabinet sorgte und selbst für die Zukunft darauf be- 
dacht war , dasselbe der Stadt gegenüber dem Staate zu sichern, 
geht aus dem früher (S. 83) mitgetheilten Briefe hervor. Alle 
Gemeinde -Angelegenheiten, namentlich die Verbesserung der 
statischen Schul- und Wohl thätigkeits -Anstalten, nahmen seine 
Theilnahme in hohem Maasse in Anspruch, und überall war er 
bereit, mit seinen Mitteln helfend einzugreifen. 

Aber auch über die Grenzen seiner nächsten Heimath hinaus 
erhielt er sich offen für alle anregenden Vorgänge. Die alte und 
tiefe Neigung für Länder- und Völkerkunde verliess ihn bis zu 
seinem Tode nicht. Die neuesten Werke besorgte er auf seine 
Kosten für die Bibliothek. Aber freilich sprachen seinen histo- 
rischen Sinn die älteren Werke noch mehr an. Die Literatur 
über die Auffindung des Weges nach Ostindien, über die Entdeckung 
Amerika's, über das heilige Land erwarb er in einer Vollständig- 
keit, wie es wohl selten einem Privatmanne glücken dürfte. Höchst 
charakteristisch ist es, dass gewissermaassen das Lieblingsbuch, 
mit dem er sich während der letzten Monate seines Lebens am 
meisten beschäftigte, die botanische und mineralogische Beschrei- 
bung Mexico's von Hernandez*) war. Aber freilich hatte dies 
Buch noch das besondere Interesse, dass unter den verschiedenen, 
darin enthaltenen Traktaten einer einen gelehrten Bamberger zum 
Verfasser hatte. Derselbe führt den Titel: Aliorum novae Hispa- 
niae animalium Nardi Antonii Becchi imagines et nomina 
Joannis FabriLyncei Bambergensis, philosophi, medici, publici 
Professoris Komani et summo Pontifici ab herbariis studiis ex- 
positione. 

Dieser Johann Schmidt (Faber) war um 1571 in Bamberg 
geboren, hatte in Würzburg studirt und unter dem Vorsitz von 
Adrianus Romanus (S. 54) eine Dissertatio medica de febre 
putrida et febre pestilentiali. Würzb. 1597. 4^ vertheidigt. 
Der Ruf seiner anatomischen und botanischen Kenntnisse war so 
gross, dass er an die Akademie zu Rom als Professor der Arznei- 
wissenschaft und namentlich als Simpliciarius berufen wurde. 

**) Nova plantarum et mineralium mexicanorum historia, a Fran- 
cisco Hern ap des, medico in Indiis praestantissimo , primum com- 
pilata, dein a Nardo Antonio Reccho in volumen digesta, a Jo. 
Terentio, Jo. Fabro et Fabro columna Lynceis notis et addi- 
tionibus longe doctissimis illustrata. Romae 1651. fol. 



i- < 



111 

Schon von Zürich aus hatte Schön lein das Werk von He r- 
nandez an die Bibliothek geschenkt, aber er hatte noch ein 
zweites Exemplar in Goldschnitt erworben, das er für seine Privat- 
studien benutzte. Auf besonderen Einlegeblättern, 44 an der Zahl, 
hat er die neuere Literatur, namentlich die epidemischen Special- 
schriften nachgetragen und sie an den betreffenden Folioblättem 
beigefügt. Noch einen Monat vor seinem Tode verglich er sorg- 
ftltig beide Exemplare uut^r einander. 

In der speciellen medicinischen Literatur war es die Epide- 
miologie, welche er unausgesetzt mit dem regsten Eifer verfolgte 
und fQr welche seine ßüchersammlung wohl die reichste und kost- 
barste war, welche in der Welt existirt. Unausgesetzt studirte er die 
medicinischen Kataloge, gab sofort Kaufauftrüge, bezahlte jeden 
Preis und setzte sich so nach und nach in den Besitz der selten- 
sten Schriften, die er nicht bloss sammelte, sondern auch stets 
genau studirte. 

•' Zu S. 35. Die epidemiologische Sammlung vermachte er 
schon 2 Jahre vor seinem Tode in ihrer ganzen Vollständigkeit 
der Universitätsbibliothek in Würzburg, ja er nahm sogar die schon 
früher der Bämberger Bibliothek geschenkten Sachen zurück, um 
sie der Gesammtsammlung beizufügen. — Alle anderen medicinischen 
Werke aus seinem Bücherschatze hatte er schon in Berlin durch 
letzwillige Verfügung vom 6. Januar 1858 der Bamberger Biblio- 
thek legirt. Rechnet man die Dissertationen und Gelegenheits- 
Bchriften mit, so belinden sich gegenwärtig in dieser Bibliothek 
gegen 25,000 Schriften, die er im Laufe der Jahre von 1843 an 
geschenkt hat, und die im Werthe auf mehr als 60,000 fl. veran- 
schlagt werden. Es sind darunter die seltensten und kostbarsten 
Werke, und es wird von ihm gerühmt, dass seine Kenntniss der 
Literatur sich selbst auf das Formelle der Incunabelndrucke und 
der besten Ausgaben der ältesten Werke über Länder- und Völker- 
kunde u. s. w. erstreckte. 

** Zu S. 35. Schon seit vielen Jahren, wie es scheint, in 
Folge der endemischen Einflüsse Würzburg's, trug Schönlein 
einen Kropf, der sich mehr nach innen entwickelt hatte, vielleicht 
theilweise substernal lag. Seine Sprache war dadurch etwas be- 
hindert; er stockte im Vortrage leicht, räusperte sich uud fuhr 
mit unterdrückter Stimme fort. Wenn er sich bei der Kranken- 
Untersuchung bückte^ so bildete sich schnell ein cyanotisches Aus- 





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FEB -^ 1932 










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